Urangst
aufgestaute Gewalttätigkeit wie aus einer entkorkten Sektflasche sprudeln würde, dann würde Nickie es gewiss als Erste wahrnehmen.
»Diese Frau an einem Tisch in der Nähe«, fuhr Amy fort, »war so entsetzt, dass sie ohnmächtig wurde und mit dem Gesicht in ihre Hummercreme gefallen ist. Ich glaube nicht, dass man in einer Schale Hummercreme ertrinken kann, es könnte sogar gut für den Teint sein, aber ich habe ihren Kopf trotzdem rausgezogen.«
Carl leckte sich die gesprungenen Lippen. »Sie halten mich wohl für blöd.«
»Es kann sein, dass Sie ungebildet sind«, sagte Amy. »Ich kenne Sie nicht gut genug, um das zu beurteilen. Aber ich bin absolut überzeugt davon, dass Sie nicht dumm sind.«
Brian merkte, dass er mit den Zähnen knirschte.
»Sie geben mir einen Scheck über zweitausend«, sagte Carl, »und zehn Minuten, nachdem Sie mit dem Hund zur Tür raus sind, lassen Sie ihn sperren.«
»Ich habe nicht die Absicht, Ihnen einen Scheck auszuschreiben. « Aus einer Innentasche ihrer Jacke zog sie eine Rolle Hundertdollarscheine, die von einer Haarspange in Form eines blau-gelben Schmetterlings zusammengehalten wurden. »Ich zahle bar.«
Brian knirschte nicht mehr mit den Zähnen. Ihm war der Kiefer runtergefallen.
Carl ließ das Montiereisen sinken und sagte: »Mit Ihnen stimmt wirklich was nicht.«
Sie steckte die Haarspange ein, fächerte die Hundertdollarscheine auf und sagte: »Abgemacht?«
Er legte die Waffe auf den Tisch, nahm das Geld und zählte es mit der Bedächtigkeit eines Mannes, dessen Erinnerung an Mathematik durch den Tequila verblichen ist.
Erleichtert stellte Brian den Stuhl wieder hin.
Amy ging auf die Hündin zu und fischte aus einer anderen Tasche ein rotes Halsband und eine zusammengerollte Leine. Sie befestigte die Leine an dem Halsband und legte dem Hund das Halsband an. »Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Sir.«
Während Carl die zweitausend ein zweites Mal nachzählte, ruckte Amy sanft an der Leine. Die Hündin erhob sich augenblicklich und tappte an ihrer Seite aus der Küche.
Mit dem kleinen Mädchen im Schlepptau folgte Janet Amy und Nickie in den Flur, und Brian ging hinter ihnen her und blickte zurück, weil er keineswegs ausschloss, dass Carl seine Wut wieder fand und zum Montiereisen griff.
Jimmy, dessen leise Wehklage sie bei ihrem Eintreffen gehört hatten, war jetzt verstummt. Er hatte sich vom Flur ins Wohnzimmer begeben und stand dort am Fenster wie ein Gefangener an den Gitterstäben seiner Zelle.
Mit dem Hund an der Leine ging Amy auf den kleinen Jungen zu. Sie blieb neben ihm stehen und sprach mit ihm.
Brian konnte nicht hören, was sie sagte.
Die Haustür war offen, wie er sie zurückgelassen hatte. Der Hund lief sicher und gelassen an ihrer Seite, als Amy kurz darauf zu ihm auf die Veranda trat.
Janet stand in der Tür, als sie sagte: »Sie waren … ganz erstaunlich. Ich danke Ihnen. Ich wollte nicht, dass die Kinder sehen … dass sie es noch einmal passieren sehen.«
Im gelben Schein der Verandalampe war ihr Gesicht fahl und das Weiß ihrer Augäpfel ließ einen an Gelbsucht denken. Sie sah älter aus als sie war. Und müde.
»Wissen Sie, er wird sich einen anderen Hund zulegen«, sagte Amy.
»Vielleicht kann ich das verhindern.«
»Vielleicht?«
»Ich kann es versuchen.«
»War das, was Sie gesagt haben, als Sie uns die Tür aufgemacht haben, Ihr Ernst?«
Janet wandte den Blick von Amy ab, um die Türschwelle zu ihren Füßen zu mustern, und zuckte mit den Achseln.
Amy rief es ihr ins Gedächtnis zurück: »Sie wünschten, Sie wären ich. Oder sonst jemand. Irgendjemand.«
Janet schüttelte den Kopf. Sie senkte die Stimme zu kaum mehr als einem Murmeln. »Was Sie da drinnen getan haben, das mit dem Geld, war noch das Wenigste. Wie Sie mit ihm umgegangen sind – das schaffe ich niemals. Ich kann es einfach nicht.«
»Dann tun Sie das, was Sie können.« Amy beugte sich zu Janet vor und sagte etwas, das Brian nicht hören konnte.
Während sie gebannt lauschte, hielt sich Janet die rechte Hand vor die gespaltene und geschwollene Lippe.
Als Amy ausgesprochen hatte, trat sie einen Schritt zurück, und Janet sah ihr noch einmal in die Augen. Die beiden starrten einander an, und obwohl Janet kein Wort sagte oder auch nur nickte, sagte Amy: »Gut. In Ordnung.«
Janet zog sich mit ihrer Tochter ins Haus zurück.
Nickie schien zu wissen, wohin es ging, denn jetzt straffte sie die Leine und führte die beiden
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