Urlaub fuer rote Engel
Lichtschächte, verbunden durch schwankende
Bohlen. Darüber die gläserne Sternenkuppel. Ich frage nach dem Bauleiter. Die Arbeiter verstehen mich nicht. Sie sprechen
polnisch. Hier wird Frankreichs Modezar Lafayette seinen Tempel errichten. Außerdem, so steht’s draußen zu lesen: »19.000
qm lichtdurchflutete Büroflächen, 20.000 qm exklusive Geschäfte.« Das Schild am Gebäude nebenan: »Luxuspassage, 44 Läden,
16.000 qm Prestigebüros.« Und das Schild daneben: »Das Flair von Berlin-Mitte lebt wieder auf … ganz in der Tradition dessen,
was die Architektur dieser Stadt so liebenswert und lebenswert machte. Gebäude mit individuellem Charakter, in menschlichen
Dimensionen.«
Schlafen müsste ich irgendwo. Fast am Ende der Flaniermeile finde ich in der Friedrichstraße 124 die Hotel-Pension »Amadeus«.
Junge Männer feilschen um die Zimmer. Aus ihren Reisetaschen spießen blankpolierte hölzerne Wasserwaagen mit eingravierten
Initialen. Nordirische Billigarbeiter für die Baustellen der Friedrichstraße. Ich bekomme nur noch ein Vierbettzimmer. »Dasbeste des Hauses.« Ein Doppelstockbett aus rohen Brettern zusammengenagelt. Am Kachelofen warnt ein Zettel: »Nicht benutzen!«
Und vor der Ofentür steht ein winziger Eimer mit eingelegter Plastetüte, wie in der Kabine eines Pornokinos. Aber kein Waschbecken.
Dafür Teppiche auf dem Boden. Vor zwei Jahren hat der Tunesier Taunfous die Pension – 1990 bis 1993 war sie Nutten-Absteige
– von der Treuhand gemietet. In dem Hotel mit fast 80 Betten beschäftigt er drei Leute. Ein schwedisches Mädchen, einen ehemaligen
NVA-Major aus Strausberg und für den Nachtdienst Matthias, den 25-Jährigen, der auf seinen Gerichtsprozess wartet und deshalb
eine Bleibe nachweisen muss. Zwei von den dreien arbeiten nur für die kostenlose oder verbilligte Unterkunft bei Taunfous.
Aufbruchstimmung.
Am nächsten Tag erlaufe ich mir die 3,3 Kilometer Friedrichstraße über eine Brücke und 23 Kreuzungen vom Oranienburger Tor
im Norden bis zum Mehringplatz im Süden. Der nördliche Teil hat sich, abgesehen von aufgerissenen Straßenbahngleisen, wenig
verändert. Kleine Kneipen. Sogar noch Tischlereien. Rentner, die ihre Hunde an alle Straßenbäume pinkeln lassen. Tante-Emma-Läden.
Dazwischen der Friedrichstadtpalast. Berliner Ensemble. Metropol. Kabarett. Den Mittelteil der Friedrichstraße, vom Bahnhof
bis zur ehemaligen Grenze, erkenne ich dagegen kaum noch. So wie die ganze Partei (von der CDU eingeheimst) ist auch deren
Domizil, das Haus der ehemaligen Demokratischen Bauernpartei Deutschlands, spurlos verschwunden. Abgerissen auch der größte
Gaststättenkomplex an der Friedrichstraße, das Lindencorso, in dem früher rund zwei MillionenGäste im Jahr einkehrten. Und auch die im Volksmund »Usbekischer Bahnhof« genannten Passagen an der Ecke zur Leipziger Straße
stehen nicht mehr. Hier sollte nach Honeckers Willen, in Plattenbauweise und mit orientalischen Ornamenten verziert (in ähnlicher
Weise hatte man 1966, nach einem Erdbeben, Taschkent wiederaufgebaut), eine sozialistische Wohlstandsmeile mit Geschäften,
Restaurants, Klubs der Werktätigen und Wohnungen (Einheitsmiete 1,25 Mark je Quadratmeter) entstehen. 75 Millionen DDR-Mark
waren bis zur Wende verbaut. Danach interessierten die Bauten niemanden mehr. Nur um den Boden unter ihnen entbrannte der
Kampf zwischen den Reichen dieser Welt. Die Sieger, der Heidelberger Unternehmer Ernst, der französische Baugigant Bouygues
und der amerikanische Konzern Tishman Speyer, bezahlten bis zu 40.000 DM für einen Quadratmeter. Ein Himmel-Hölle-Hüpfspiel
meiner Kindheit war etwa anderthalb Quadratmeter groß. Und hätte mich an dieser Stelle 60.000 DM gekostet.
Es sind inzwischen auch kleinere Dinge an der Friedrichstraße spurlos verschwunden. Zum Beispiel die Gedenktafel für die zwei
von der SS ermordeten jungen Kriegsverweigerer am S-Bahnhof und die Tafel am Haus Friedrichstraße 91–92, in dem Friedrich
Engels während seiner Dienstzeit als Einjährig-Freiwilliger 1841/42 gewohnt hatte. Friedrichstraße 91–92, das sind heute zwei
schmalbrüstige Häuser, die Außenwände frisch rot und weiß gestrichen. An der Fassade in großer Schrift: »Die Dussmann Gruppe
zieht von München … in die traditionsreiche Friedrichstraße.« Das Unternehmen im internationalen Dienstleistungs-Management
baut hinter denzwei Winzlingen ein Haus mit 12.000 Quadratmetern
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