Vadim, diese Briefe waren fuer dich (Du + Ich = Wir Zwei)
8. Oktober 2002
Warum habe ich dich verlassen?
Jeden Tag stelle ich mir diese Frage. Alle Antworten, die mir einfallen, würdest du hassen: „Weil meine Familie Druck machte, weil wir nicht aus derselben Schicht stammen, weil dein Leben zu kompliziert war, meines hingegen zu geordnet.“
Vor exakt drei Jahren haben sich unsere Wege gekreuzt. Deine Engelszunge und dein ganovenhaftes Aussehen haben mich angezogen. Deine Lust, dein Elan, deine Freiheit haben mir Angst gemacht. Deine Einsamkeit, dein Schmerz, dein Einfühlungsvermögen haben mich völlig durcheinandergebracht. Ich hab alles vermasselt: Ich habe Stopp gesagt, während das mit uns gerade erst begonnen hatte.
Wahrscheinlich ist man mit 18 Jahren noch zu jung, um zu lieben. Aufgrund der Tatsache, dass man noch nicht reif genug ist und noch nicht genug Erfahrung hat oder so etwas in der Art. Das habe ich in einer Zeitschrift gelesen. Ich weiß, wenn du an diesem Tag bei mir gewesen wärst, hättest du dich über mich lustig gemacht, weil ich so einen Mädchenkram lese. Auf jeden Fall hätten wir zusammen der ganzen Welt beweisen können, dass das Alter mit alledem nichts zu tun hat, dass sich Gefühle nicht abschalten lassen, die einen überfallen, ohne zu prüfen, ob man schon volljährig ist oder nicht.
Ich möchte doch nur ein Zeichen von dir, deinem spöttischen Blick begegnen, dich lachen hören, mit meiner Hand durch dein lockiges Haar fahren, die Wärme deiner Lippen spüren, wenn sie sich an meine drücken. Ich möchte die Kraft deiner Arme spüren, wenn sie sich um mich legen. Ich möchte wissen, dass es dir gut geht, dass du manchmal an mich denkst, dass dir bewusst ist, dass du mein Leben verändert hast … zum Guten hin.
Ich weiß nicht, wo du bist, was du machst. Jedes Mal, wenn mir klar wird, dass ich dich wahrscheinlich nie wiedersehen werde, krampft sich mein Herz zusammen. Wenn mich die Traurigkeit überkommt, stelle ich mir vor, wie du auf diesem Steg in Santa Monica stehst. Du siehst auf das Meer hinaus, betrachtest den Horizont, bist stolz, frei wie ein Vogel und hast viele Träume. Ich hoffe, dass sie in Erfüllung gehen, Vadim, und dass nichts und niemand dich daran hindern wird, du selbst zu sein.
Du fehlst mir wahnsinnig. Die Zeit vergeht, aber du bleibst hier: So fern und doch so nah zugleich.
Alma
8. Oktober 2003
Vadim,
ich habe immer noch nichts von dir gehört und dennoch habe ich den Eindruck, jeden Tag mit dir zu sprechen, als ob wir uns niemals getrennt hätten. Unsere Erinnerungen verfolgen mich, meine Gefühle wollen nicht vergehen. Geht es dir genauso?
Vor zwei Jahren hat unser unerwartetes Treffen alles verändert. Abrams hat aus dir meine bessere Hälfte gemacht. Ich habe also beschlossen, meine Chance zu ergreifen und das Leben auf eine andere Weise, mit deinen Augen zu sehen. Vorher habe ich die Welt nur schwarz-weiß gesehen. Deine Augen haben mir aber beigebracht, auch das Grau zu sehen und zu schätzen zu wissen.
Ich versuche, nicht allzu oft daran zu denken, mich nicht vom Schmerz auffressen zu lassen, aber du fehlst mir entsetzlich. Alles fehlt mir: deine Zärtlichkeit, dein Humor, deine Ticks, die mich zum Lachen brachten, deine Schwächen, die mich zum Meckern brachten, deine Wutanfälle, deine Verrücktheit. Du warst auf alle Fälle nicht wie die anderen, Arcadi.
Denkst du noch an unser Spielchen „Kannst du’s oder kannst du’s nicht“ zurück? Vor Kurzem hatte ich einen Flashback. Nach dem Unterricht hat Clémentine mich gezwungen, sie in ein Café am Fuße des Eiffelturms zu begleiten (um einen Typen von der Uni auszuspionieren, der offenbar schon vergeben war …). Kurzum: Die Bedienung war so unfreundlich, dass ich ihr am liebsten mein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet hätte. Als mir einfiel, dass mir das schon einmal passiert ist, bekam ich einen Lachanfall. Ich erinnere mich an das Sunset Café, als ob es gestern gewesen wäre.
Ich habe gute und schlechte Tage. Tage, an denen ich lächeln kann, Tage, an denen die Erinnerung und deine Abwesenheit fast unerträglich sind.
Zwei Jahre später liebe ich dich noch immer wie am ersten Tag. Glaubst du, dass das schlimm ist?
Alma
8. Oktober 2004
Vadim,
jetzt sind drei Jahre vergangen. Ich schreibe dir immer noch, ohne zu wissen, ob der 8. Oktober bei dir etwas wachruft oder nicht. Wer weiß? Vielleicht richtet sich dein Gekritzel auf einem weißen Blatt Papier an mich, irgendwo da drüben oder wo auch immer du gerade bist
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