Vaethyr - Die andere Welt
sagte Lawrence und machte eine Pause, um einen Schluck zu trinken. »Ich bin die Autorität des Spiral Court, sofern es um die Tore geht. Solange sie geschlossen bleiben, sind beide Seiten sicher. Sie halten die Fluten zurück wie ein Damm. Da du schon mal fragst, ich glaube nicht, dass es den Aelyr viel ausmacht, da ihr Interesse an der Erde ohnehin gering ist. Nur die Vaethyr sind so hartnäckig und veranstalten ein derart würdeloses Theater.«
»Weil es schon so lange geht und wir unsere heimischen Gefilde aufsuchen müssen«, sagte Auberon.
»Dann hätten sie durchgehen sollen, als ich ihnen Gelegenheit dazu gab!« Lawrence’ funkelnde Augen wurden schmal. »Glaubt mir denn keiner? Nicht einmal du?«
»Seltsamerweise … doch, ich glaube dir«, sagte Auberon bedrückt. »Ich weiß selbst nicht, warum. Meine Intuition sagt mir, dass du etwas derart Bizarres nicht tun würdest, sofern es keinen zwingenden Grund dafür gibt.«
»Danke, das ist ja schon mal was.«
»Aber ich hoffe, mich zu täuschen! Weiß Gott, Lawrence, ich habe dich unterstützt – aber das ist nicht die Antwort, die die Leute dadraußen hören wollen. Sie schreien nach anderen Nachrichten. Und sie gehen davon aus, dass du sie deshalb eingeladen hast!«
Lawrence Wilder antwortete ungerührt in demselben abwesenden Tonfall. »Und sie werden sehr schnell herausfinden, dass dem nicht so ist, sie wurden nämlich eingeladen, weil sie eine höfliche Entschuldigung verdient haben.«
»Und ich werde vermutlich derjenige sein, der sie überbringen soll. Wieder einmal.« Der Zorn ihres Vaters erschreckte Rosie, so kannte sie ihn kaum. »Sie werden nicht so leicht vergessen, was du an jenem Abend getan hast. Das hat für Aufruhr gesorgt.«
»Es war das einzige Mittel, das half, sie zum Gehen zu bewegen. Wenn ein Kind seine Hand nach dem Feuer ausstreckt, schreit man auch erst und erklärt später.«
Die zwei Männer sahen einander finster an. »Diese Erklärung hat allerdings sehr lange auf sich warten lassen«, sagte Auberon. »Und ich habe den ganzen Unmut abbekommen, während du dich hinter deinen Burgmauern verschanzt hast. Du mutest einer Freundschaft ganz schön viel zu.«
»Ich weiß.« Lawrence senkte seinen Blick. »Und ich bin dir dankbar, Auberon, aber du hast genug getan. Dieses Mal werde ich selbst zu ihnen sprechen. Unterstütz mich bitte. Vertrau mir. Um mehr bitte ich gar nicht.«
Auberons Blick wanderte zu seinem unruhig wippenden Fuß. »Natürlich«, sagte er schließlich. »Aus Respekt vor Liliana – was bleibt mir anderes übrig?«
Sie tranken ihre Gläser leer und gingen. Mit vor Erleichterung weichen Knien wartete Rosie noch ein paar Sekunden ab, ehe sie ihnen folgte, doch als sie auf den Korridor hinaustrat, war dieser verlassen. Sie kam zum nächsten Schlafzimmer, dessen Wände mit Drucken präraffaelitischer Gemälde, gerahmten Fotos und Büchern zugepflastert waren.
Jons Zimmer.
Rosie trat in die Türöffnung, wohl wissend, dass sie dazu kein Recht hatte, ganz zu schweigen davon, dass es unerträglich neugierig von ihr war. Dieser Raum strahlte Wärme aus und zog sie an wie eine Oase der Vernunft in einem feindlichen Land. Gern wäre sie weiterhineingegangen, um den Bettüberwurf aus Satin zu berühren und die Pfauenfeder in einer Vase neben dem Bett anzufassen.
Doch aus Angst, dabei ertappt zu werden, riss sie sich los und ging weiter den Korridor entlang.
Als Nächstes gelangte sie an eine merkwürdige kleine Wendeltreppe aus acht Steinstufen, an deren Ende ein gotischer Bogengang in ein weiteres Schlafzimmer führte. Ihr Blick streifte die Umrisse eines Bettes, einen Schrank, das Poster einer Rockband mit wilden Mähnen. Das konnte nur Sams Zimmer sein.
Einem widernatürlichen Impuls folgend trat sie über die Schwelle. Irgendwo in diesem Raum könnte …
»Suchst du was?«
Die Stimme, deren Ton auf lässige Weise bedrohlich war, ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich um. Sam blockierte ihren Fluchtweg. Sein Gesicht mit den ernsten, wie gemeißelten Zügen wirkte älter als seine siebzehn Jahre. Er lehnte lässig in der schmalen Treppenöffnung und stützte sich mit einer Hand an der gegenüberliegenden Wand ab, sodass seine sehnigen Schultern und Arme eine Sperre bildeten. Er stand so dicht vor ihr, dass sie die zarte Würze seines Schweißes und die nach Patschuli riechende Seife oder vielleicht auch das Shampoo roch, das er benutzt hatte. Seine kurzen Haare waren zerzaust, dunkel an den Wurzeln, die
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