VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
hinaufgehen und könnte dich sehen.«
Irgendwie finde ich meine Stimme wieder. »Und warum tust du es nicht?«
Unsere Blicke treffen sich. Sein Blick raubt mir den Atem. »Weil ich möchte, dass du mich auch vermisst.«
Der Ausdruck auf seinem Gesicht lässt mich meine schriftliche Arbeit vergessen. Eigentlich vergesse ich die ganze Welt um uns herum. Ich durchquere den Raum und setze mich neben ihn. Shane stellt die Gitarre neben sich auf den Boden. Er nimmt mich in die Arme. Ich küsse ihn mit dem kaum zu stillenden Hunger eines Menschen, der dem Tod zu nahe war. Shane löst sich aus dem Kuss, schiebt mich eine Handbreit von sich weg und schaut mir in die Augen.
»Shane, ich …«
»Shht!« Er zieht mich an sich und flüstert die Worte ganz nah an meinem Ohr, so leise, dass sie sich in seinem Atem verstecken. »Sag nichts! Tu nichts!«
Shane zieht mich aus, bedächtig, vorsichtig. Mit den Lippen und den Fingerspitzen streicht er über jeden Fingerbreit meiner Haut. Er erobert den Körper zurück, den wir beinahe verloren hätten.
Dann liebt er mich. Er nimmt sich Zeit, gibt mir Zeit, ist sanft und voller Zärtlichkeit. Er liebt mich genau so, wie ich es brauche. Ich spüre nicht den kleinsten Stich Schmerz, nicht in meinem Arm, noch sonst irgendwo. In Shanes Augen sehe ich kein Bedauern, keine Enttäuschung darüber, wie zerbrechlich mein menschlicher Körper ist.
Während Shane mich so liebt, begreife ich, dass die Wahrheit nicht immer Schmerz bedeuten muss.
27
Heart Full of Soul
Es ist der Abend vor dem Heiligabend – als ich klein war, nannte meine Mutter diesen Tag gern Heiligabendabend. Gleich nach Einbruch der Dämmerung haben Shane und ich uns in Richtung Youngstown auf den Weg gemacht. Erleichtert stelle ich fest, dass Shane sich nichts aus Weihnachtsmusik macht. Stattdessen sucht er im Radio herum und springt schließlich zwischen acht oder neun Rock-Sendern hin und her.
Auf dem halben Weg nach Pittsburgh haben wir Glück: die ersten Takte Klavier, betörend und unverwechselbar, sehnsuchtsvoll und beklemmend, dann die Stimme – Bring me to Life von Evanescence.
»Oh! Den Song mag ich sehr!« Ich drehe die Lautstärke hoch. »Ich weiß, ich weiß – das gilt wohl für alle Frauen, die auf Vampire stehen! Bitte verzeih mir einfach das Klischee!« Nicht dass Shane den Song überhaupt kennen würde.
»Ist das …« Shanes Blick heftet sich auf das Radio-Display. Er reißt sich davon los und blickt wieder auf die Straße. Fest umklammert er das Lenkrad. Seine Augenbrauen zucken und tanzen, als ob jede Nervenzelle in seinem Gehirn blitzt und feuert.
Ich sage nichts. Ich hoffe einfach nur, seine Erinnerung könnte sich tatsächlich bis in das Jahr 2003 erstrecken, das Jahr, in dem dieser Song herauskam. Aber vielleicht ist das, als ob ich darauf hoffte, ein Dinosaurier könne sich an die Schritte der ersten Menschen auf Mutter Erde erinnern.
Plötzlich drückt er den Sender weg, und wir hören Blues. Ich runzele die Stirn darüber, dass ihm da zeitlich wohl etwas aufgestoßen ist. Ich nehme mir vor, den Song von Evanescence herunterzuladen, wenn ich das nächste Mal im Internet bin.
Zehn, vielleicht auch zwanzig Sekunden verstreichen. Dann entspannen sich Shanes Schultern ein wenig. »Das war Saras Lieblingssong. Regina hat sie die CD den ganzen Tag in unserer Wohnung spielen lassen. Wahrscheinlich fand sie’s okay, weil’s angegotht genug ist. Dann, eines Abends, ist die CD ›ganz zufällig‹ unter die Räder von Jims Auto gekommen.«
»Bist du wirklich der Meinung, dass Regina eine Mörderin ist, weil sie Sara in einen Vampir verwandelt hat?«
»Es ist nicht Reginas Seele, um die ich mir Gedanken mache. Sara war diejenige, die unbedingt hat sterben wollen und darum gebeten hat, ihr dabei zu helfen.« Einige Augenblicke lang kaut Shane auf seiner Unterlippe herum. »Okay. Du hältst mich für einen Idioten, weil ich an so etwas wie die Untersterblichkeit der Seele glaube und an die Existenz der Sünde.«
»Also mit der Vorstellung einer unsterblichen Seele kann ich durchaus leben.«
Shane wirft mir einen kläglichen Blick zu. »Was, wenn ich dir erzählen würde, dass ich das, was die Ärsche von der Festung auf die Schilder geschmiert haben, richtig finde? Zumindest, was mich angeht.«
»Dass du zur Hölle fährst?« Ich finde, jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um eine Diskussion über die Nichtexistenz des vorgenannten Totenreichs zu führen. »Weil du ein Vampir bist?«
»Nein.
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