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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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verstehen ... Eine Mitgift hatte sie nicht, er würde auch nicht auf eine Mitgift rechnen ... Es ist überhaupt schwer, in solch einer Sache zu urteilen.«
    »Ich bin überzeugt, daß sie ein würdiges junges Mädchen war«, bemerkte Awdotja Romanowna kurz.
    »Gott verzeih es mir, aber ich freute mich damals über ihren Tod, obwohl ich nicht weiß, wer von den beiden den anderen zugrunde gerichtet hätte: er sie, oder sie ihn?« schloß Pulcheria Alexandrowna. Dann begann sie vorsichtig, mit Pausen, jeden Augenblick Dunja anblickend, was jener offenbar unangenehm war, Rasumichin wieder über den gestrigen Auftritt zwischen Rodja und Luschin auszufragen.
    Dieser Vorfall machte ihr, wie man sehen konnte, die größten Sorgen, so daß sie fast vor Angst zitterte. Rasumichin erzählte die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten wieder, fügte aber diesmal auch sein eigenes Urteil hinzu: er beschuldigte Raskolnikow direkt, daß er Pjotr Petrowitsch mit Absicht gekränkt habe, und entschuldigte ihn diesmal sehr wenig durch seine Krankheit.
    »Er hat es noch vor seiner Krankheit beschlossen«, fügte er hinzu.
    »Das ist auch meine Meinung«, sagte Pulcheria Alexandrowna tief bekümmert.
    Diesmal war sie aber sehr überrascht, daß Rasumichin sich so vorsichtig und sogar anscheinend mit Achtung über Pjotr Petrowitsch geäußert hatte. Dies überraschte auch Awdotja Romanowna.
    »Sie sind also dieser Meinung von Pjotr Petrowitsch?« Pulcheria Alexandrowna konnte sich nicht enthalten, diese Frage zu stellen.
    »Über den künftigen Mann Ihrer Tochter kann ich keiner anderen Meinung sein«, antwortete Rasumichin fest und überzeugt. »Und das sage ich nicht aus banaler Höflichkeit, sondern weil ... weil ... nun schon aus dem Grunde allein, weil Awdotja Romanowna diesen Menschen selbst und freiwillig ihrer Wahl würdigte. Und wenn ich ihn gestern so beschimpft habe, so doch nur, weil ich blödsinnig betrunken war und auch ... verrückt; ja, verrückt, meiner Sinne nicht mächtig, vollständig wahnsinnig ... und heute schäme ich mich dessen! ...«
    Er errötete und verstummte. Auch Awdotja Romanowna errötete, unterbrach aber nicht das Schweigen. Seitdem man über Luschin zu sprechen angefangen hatte, hatte sie noch kein Wort gesagt.
    Pulcheria Alexandrowna befand sich ohne die Unterstützung seitens der Tochter offenbar in Verlegenheit. Schließlich erklärte sie, stotternd und ständig nach der Tochter blickend, daß ein gewisser Umstand sie jetzt außerordentlich beunruhige.
    »Sehen Sie, Dmitrij Prokofjitsch«, fing sie an. »Ich werde mit Dmitrij Prokofjitsch ganz offen sein, nicht wahr, Dunjetschka?«
    »Natürlich, Mamachen«, antwortete Awdotja Romanowna mit Nachdruck.
    »Es handelt sich um folgendes«, beeilte sie sich, als hätte man ihr durch die Erlaubnis, von ihrem Kummer zu sprechen, eine schwere Last vom Herzen genommen. »Heute in aller Frühe erhielten wir von Pjotr Petrowitsch ein Billett als Antwort auf unsere gestrige Mitteilung über unsere Ankunft. Sehen Sie, er sollte uns gestern, wie er es versprochen, auf dem Bahnhofe erwarten. Statt dessen schickte er auf den Bahnhof einen Diener mit der Adresse dieser möblierten Zimmer und um uns den Weg zu zeigen; Pjotr Petrowitsch ließ aber sagen, daß er heute früh uns hier aufsuchen würde. Statt dessen kam heute früh von ihm dieses Billett ... Es ist das beste, wenn Sie es selbst lesen; es ist ein Punkt dabei, der mir große Sorge macht ... Sie werden gleich selbst sehen, was das für ein Punkt ist, und sagen Sie mir Ihre aufrichtige Meinung, Dmitrij Prokofjitsch! Sie kennen besser als alle den Charakter Rodjas und können uns darum besser als alle raten. Ich will Ihnen im voraus sagen, daß Dunjetschka ihren Entschluß schon gefaßt hat, gleich vom ersten Schritt an; aber ich weiß noch nicht, was ich tun soll und ... und habe darum Sie erwartet.«
    Rasumichin entfaltete das mit dem gestrigen Datum versehene Billett und las folgendes:
     
    »Sehr geehrte gnädige Frau, Pulcheria Alexandrowna, ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich infolge plötzlich eingetretener Hindernisse Sie nicht auf dem Bahnhofe habe empfangen können und deshalb zu diesem Zweck einen sehr gewandten Menschen hinschickte. Ebenso muß ich auf die Ehre, Sie morgen früh zu sehen, verzichten, weil ich unaufschiebbare Angelegenheiten im Senat zu erledigen habe und Ihre verwandtschaftliche Zusammenkunft mit Ihrem Sohn und Awdotja Romanownas mit ihrem Bruder nicht stören möchte.

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