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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Ankunft auf ihn eine heilsame Wirkung haben wird.«
    »Ach, gebe Gott!« rief Pulcheria Alexandrowna, für die der Bericht Rasumichins über ihren Sohn eine Qual gewesen war.
    Rasumichin aber blickte Awdotja Romanowna endlich etwas mutiger an. Er hatte sie während des Gesprächs öfter angesehen, aber nur flüchtig, bloß für einen Augenblick, und die Augen immer gleich wieder weggewandt. Awdotja Romanowna setzte sich bald an den Tisch und hörte aufmerksam zu und stand bald wieder auf und begann, ihrer Gewohnheit nach, auf und ab zu gehen, die Arme gekreuzt, die Lippen zusammengepreßt; zuweilen stellte sie nachdenklich ihre Fragen, ohne ihre Wanderung zu unterbrechen. Auch sie hatte die Gewohnheit, was man ihr sagte, nicht bis ans Ende zu hören. Sie trug ein dunkles Kleid aus einem leichten Stoff und ein weißes, durchsichtiges Tüchlein um den Hals. Rasumichin schloß aus vielen Anzeichen, daß die beiden Frauen sich in außerordentlich dürftigen Verhältnissen befanden. Wäre Awdotja Romanowna wie eine Königin gekleidet gewesen, so hätte er sich vor ihr wohl gar nicht gefürchtet; jetzt aber, vielleicht gerade aus dem Grunde, weil sie so ärmlich gekleidet war und er die ganze elende Umgebung sah, hatte sich in seinem Herzen eine gewisse Angst festgesetzt, und er fürchtete für jedes seiner Worte, für jede Gebärde, was für ihn, der sich auch ohnehin nicht recht traute, natürlich sehr lästig war.
    »Sie haben viel Interessantes über den Charakter meines Bruders erzählt und ... haben es wirklich unparteiisch erzählt. Das ist gut; ich glaubte, Sie hätten eine heilige Scheu vor ihm«, bemerkte Awdotja Romanowna mit einem Lächeln.
    »Auch ich glaube, daß er eine Frau um sich haben muß«, fügte sie nachdenklich hinzu.
    »Das habe ich nicht gesagt, aber vielleicht haben Sie auch darin recht, nur ...«
    »Was denn?«
    »Nur liebt er niemand; vielleicht wird er auch nie jemand lieben«, schnitt Rasumichin ab.
    »Das heißt, er ist unfähig, jemand zu lieben?«
    »Wissen Sie, Awdotja Romanowna, Sie sehen Ihrem Bruder furchtbar ähnlich, sogar in allen Dingen!« platzte er plötzlich, für sich selbst unerwartet, heraus; da er sich aber erinnerte, was er eben über ihren Bruder gesagt hatte, wurde er rot wie ein Krebs und furchtbar verlegen.
    Awdotja Romanowna konnte sich bei seinem Anblick nicht des Lachens erwehren.
    »In bezug auf Rodja könnt ihr euch beide irren«, mischte sich Pulcheria Alexandrowna etwas pikiert ins Gespräch. »Ich spreche nicht vom Jetzigen, Dunjetschka. Was Pjotr Petrowitsch in diesem Briefe schreibt ... und was wir beide annahmen, ist vielleicht gar nicht wahr, aber Sie können sich nicht vorstellen, Dmitrij Prokofjitsch, wie phantastisch und wie – wie soll ich es nur sagen, – wie launisch er ist. Seinem Charakter konnte ich niemals vertrauen, selbst als er erst fünfzehn Jahre alt war. Ich bin überzeugt, daß er auch jetzt plötzlich etwas mit sich anstellen kann, was keinem Menschen je einfallen wird ... Was brauche ich weit zu gehen: ist Ihnen bekannt, wie er mich vor eineinhalb Jahren überrascht, erschüttert und fast vernichtet hat, als er diese, wie heißt sie noch, die Tochter seiner Wirtin Sarnizyna heiraten wollte?«
    »Wissen Sie etwas Näheres über diese Geschichte?« fragte Awdotja Romanowna.
    »Glauben Sie vielleicht,« mischte sich Pulcheria Alexandrowna mit Feuer ein, »daß ihn damals meine Tränen, meine Bitten, meine Krankheit, mein Tod vielleicht aus Kummer, unsere Armut hätten zurückhalten können? Er hätte sich ruhig über alle diese Hindernisse hinweggesetzt. Kann man aber annehmen, daß er uns nicht liebt?«
    »Er hat mir nie etwas über diese Geschichte erzählt,« antwortete Rasumichin vorsichtig, »aber ich habe manches von der Frau Sarnizyna selbst gehört, die in ihrer Art auch wenig gesprächig ist, und was ich gehört habe, mutet vielleicht sogar etwas seltsam an ...«
    »Aber was, was haben Sie gehört?« fragten beide Frauen zugleich.
    »Es ist übrigens nichts Besonderes. Ich erfuhr nur, daß diese Heirat, die endgültig beschlossen war und nur infolge des Todes der Braut nicht zustande kam, der Frau Sarnizyna selbst sehr gegen den Strich ging ... Außerdem sagt man, daß die Braut sehr unschön, das heißt sogar ausgesprochen häßlich gewesen sei ... und kränklich, und ... und so sonderbar ... übrigens, glaube ich nicht ohne gewisse Vorzüge. Sie muß sicher irgendwelche Vorzüge gehabt haben, sonst wäre es nicht möglich, zu

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