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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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unheildrohendes Kreischen: es war Amalie Lippewechsel, die sich einen Weg durch die Zuschauer bahnte, um auf ihre Weise Ordnung zu schaffen und die arme Frau zum hundertsten Male durch den von Schimpfworten begleiteten Befehl, die Wohnung morgen zu räumen, zu erschrecken. Beim Weggehen fand Raskolnikow noch Zeit, die Hand in die Tasche zu stecken und einige von den Kupfermünzen, die er in der Schenke auf den Rubel herausbekommen hatte, ohne zu zählen, zusammenzuraffen und auf die Fensterbank zu legen. Später, auf der Treppe, besann er sich und wollte umkehren.
    »Was habe ich eben für eine Dummheit gemacht,« sagte er sich, »sie haben ja ihre Ssonja, und ich brauche mein Geld selber.« – Als er aber eingesehen hatte, daß er das Geld nicht mehr zurückholen konnte und daß er es sowieso nicht mehr zurücknehmen würde, machte er eine unbestimmte Gebärde mit der Hand und ging nach Hause. – »Ssonja braucht ja auch Pomade« – fuhr er fort, durch die Straße gehend und giftig lächelnd. – »Diese Reinlichkeit kostet doch Geld ... Hm! Ssonjetschka wird vielleicht heute selbst Bankerott machen, denn es ist immerhin ein Risiko, diese Jagd auf den reichen Mann ... eine Art Goldgräberei ... So würden sie vielleicht morgen ohne mein Geld auf dem Trocknen sitzen ... Ja, die Ssonja, alle Achtung! Was für einen Brunnen haben sie sich gegraben! Und sie schöpfen aus ihm! Sie schöpfen doch aus ihm! Und sie haben sich daran gewöhnt. Sie haben ein wenig geweint und haben sich dann gewöhnt. An alles gewöhnt sich der Mensch, dieser Schuft!«
    Er wurde nachdenklich.
    »Nun, und wenn ich gelogen habe,« rief er plötzlich aus, »wenn der Mensch wirklich kein Schuft ist, der Mensch im allgemeinen, das heißt das ganze Menschengeschlecht, so ist alles übrige nur ein Vorurteil, eine Angst, die man sich selbst gemacht hat, und es gibt keine Schranken, und so muß es auch sein! ...«
     
III
     
    Er erwachte am anderen Tage nach einem unruhigen Schlafe sehr spät, der Schlaf hatte ihn aber nicht gestärkt. Er erwachte in einer galligen, reizbaren, bösen Stimmung und sah sich voll Haß in seiner Kammer um. Es war ein Loch von etwa sechs Schritt Länge, das mit seinen gelben, staubigen und überall von den Wänden abstehenden Tapeten den jämmerlichsten Eindruck machte; es war dabei so niedrig, daß es jedem einigermaßen großen Menschen ganz unheimlich wurde, vor Angst, er würde gleich mit dem Kopf an die Decke stoßen. Die Möbel entsprachen durchaus dem Zimmer: es gab da drei alte, nicht ganz heile Stühle, einen gestrichenen Tisch in der Ecke, auf dem einige Hefte und Bücher lagen; schon der Staub, mit dem sie bedeckt waren, ließ darauf schließen, daß sie schon lange von keiner Menschenhand berührt worden waren; und schließlich ein großes plumpes Sofa, das fast die ganze Wand und die Hälfte des Zimmers einnahm und einst mit Kattun bezogen gewesen, jetzt aber ganz zerfetzt war und Raskolnikow als Bett diente. Oft schlief er darauf, ohne sich auszuziehen, ohne Laken, mit seinem alten, abgetragenen Studentenmantel als Bettdecke und einem einzigen kleinen Kissen unter dem Kopfe, worunter er alles, was er an sauberer Wäsche besaß, stopfte, damit es höher sei. Vor dem Sofa stand ein kleines Tischchen.
    Es würde einem Menschen schwer fallen, noch tiefer zu sinken und noch mehr zu verkommen; Raskolnikow war das aber in seiner jetzigen Gemütsverfassung nur angenehm. Er hatte sich von allen Menschen vollkommen zurückgezogen, wie eine Schildkröte in ihre Schale, und selbst das Gesicht der Dienstmagd, die ihn zu bedienen hatte und zuweilen in sein Zimmer hineinschaute, reizte seine Galle und brachte ihn zu Krämpfen. So geht es manchen Monomanen, die sich allzu stark auf etwas konzentriert haben.
    Seine Wirtin hatte schon seit zwei Wochen aufgehört, ihm Essen zu geben, und es war ihm bisher noch gar nicht eingefallen, zu ihr zu gehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen, obwohl er ohne Mittagessen saß. Nastasja, die Köchin und einzige Dienstmagd der Wirtin, war über diese Gemütsverfassung des Zimmerherrn zum Teil sogar froh und hatte ganz aufgehört, bei ihm aufzuräumen und den Boden zu kehren; nur ab und zu, so einmal in der Woche, griff sie, wie aus Versehen, nach dem Besen. Sie war es auch, die ihn jetzt geweckt hatte.
    »Steh auf, was schläfst du!« schrie sie über seinem Kopfe, »es ist bald zehn. Ich habe dir Tee gebracht; willst du Tee? Bist wohl hungrig!?«
    Der Zimmerherr öffnete die Augen,

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