Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
Donnerschlag. Was war das doch für ein häßlicher Scherz, was für ein Unsinn! Er hatte doch nur ein bißchen wichtig getan, er hatte nicht mal Zeit gehabt, sich ganz auszusprechen, er hatte bloß gescherzt, hatte sich hinreißen lassen, und alles nahm plötzlich ein so ernstes Ende! Schließlich hatte er doch Dunja sogar auf seine Art geliebt, hatte schon über sie in seinen Träumen geherrscht, und plötzlich! ... Nein! Morgen, morgen schon muß er alles wiederherstellen, reparieren, in Ordnung bringen, vor allen Dingen aber diesen anmaßenden grünen Jungen, der an allem die Schuld hat, vernichten. Mit schmerzvollem Unbehagen erinnerte er sich plötzlich unwillkürlich Rasumichins ... aber in dieser Beziehung beruhigte er sich bald wieder: Es fehlte noch, daß man auch diesen Kerl auf eine Stufe mit ihm stellte! Wen er aber ernsthaft fürchtete, das war Swidrigailow ... Mit einem Wort: es standen ihm noch viele Scherereien bevor. –
»Nein, ich hin mehr als alle schuld!« sagte Dunjetschka, indem sie ihre Mutter umarmte und küßte. »Ich ließ mich von seinem Gelde verlocken, aber ich schwöre, Bruder, ich ahnte gar nicht, daß er ein so unwürdiger Mensch ist. Hätte ich ihn vorher durchschaut, so hätte ich mich um keinen Preis verlocken lassen! Klage mich nicht an, Bruder!«
»Gott hat uns errettet! Gott hat uns errettet!« murmelte Pulcheria Alexandrowna, doch irgendwie unbewußt, als hätte sie noch nicht ganz erfaßt, was sich eben zugetragen hatte.
Alle freuten sich, und nach fünf Minuten lachten sie sogar. Nur Dunjetschka erbleichte noch ab und zu und runzelte die Brauen, wenn sie sich des Vorgefallenen erinnerte. Pulcheria Alexandrowna hätte sich niemals gedacht, daß auch sie sich freuen würde: der Bruch mit Luschin war ihr noch heute früh als ein schreckliches Unglück erschienen, Rasumichin aber war entzückt. Er wagte noch nicht, es ganz zu äußern, zitterte aber am ganzen Leibe wie im Fieber, als wäre ihm eine fünf Zentner schwere Last vom Herzen gefallen. Nun hatte er das Recht, ihnen sein ganzes Leben hinzugeben, ihnen zu dienen ... Und überhaupt jetzt! ... Übrigens jagte er jetzt noch ängstlicher alle Zukunftsgedanken von sich und fürchtete sich vor seiner Phantasie. Nur Raskolnikow allein saß noch immer auf dem gleichen Fleck, fast düster und sogar zerstreut. Er, der auf die Entfernung Luschins mehr als alle bestanden hatte, schien sich jetzt weniger als alle für das Vorgefallene zu interessieren. Dunja mußte unwillkürlich denken, daß er ihr noch immer sehr zürne, und Pulcheria Alexandrowna beobachtete ihn ängstlich.
»Was hat dir denn Swidrigailow gesagt?« fragte Dunja, an ihn herantretend.
»Ach, ja, ja!« rief Pulcheria Alexandrowna aus.
Raskolnikow hob den Kopf.
»Er will dir unbedingt zehntausend Rubel schenken und äußert zugleich den Wunsch, dich einmal in meiner Gegenwart zu sprechen.«
»Sie sprechen! Um nichts in der Welt!« rief Pulcheria Alexandrowna aus. »Und wie wagt er nur, ihr Geld anzubieten!«
Raskolnikow teilte darauf (ziemlich trocken) sein ganzes Gespräch mit Swidrigailow mit, verschwieg aber das von den Besuchen der verstorbenen Marfa Petrowna, um nicht auf ein abseits liegendes Thema abzuschweifen und da er einen Widerwillen empfand, über irgend etwas außer dem Notwendigsten zu sprechen.
»Was hast du ihm darauf geantwortet?« fragte Dunja.
»Zuerst sagte ich ihm, daß ich dir nichts mitteilen würde. Darauf erklärte er, daß er selbst mit allen Mitteln versuchen würde, eine Zusammenkunft herbeizuführen. Er behauptete, daß seine Leidenschaft zu dir eine Dummheit gewesen sei und daß er jetzt dir gegenüber nichts mehr empfinde ... Er will nicht, daß du Luschin heiratest ... Er sprach überhaupt sehr verworren.«
»Wie erklärst du es dir selbst, Rodja? Wie kam er dir vor?«
»Offen gestanden, verstehe ich ihn nicht recht. Er bietet dir zehntausend Rubel an, sagt aber dabei, daß er nicht reich sei. Er sagt, daß er eine Reise unternehmen möchte, und vergißt schon nach zehn Minuten, daß er das gesagt hat. Plötzlich sagt er auch, daß er heiraten wolle und daß man ihm schon eine Partie anbiete ... Sicherlich hat er seine Absichten und wahrscheinlich recht schlimme. Andererseits wäre es doch sonderbar, anzunehmen, daß er die Sache so dumm anfassen würde, wenn er schlimme Absichten dir gegenüber hätte ... Ich habe mich natürlich in deinem Namen ein für allemal geweigert, das Geld anzunehmen. Überhaupt kam er mir sehr
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