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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sittliches Gefühl unterdrücken, unsere Freiheit, unsere Ruhe, selbst unser Gewissen, alles auf den Markt tragen. Soll nur das Leben zugrunde gehen! Wenn nur die von uns geliebten Wesen glücklich sind! Und noch mehr als das: wir werden unsere eigene Kasuistik erfinden, werden von den Jesuiten lernen und für eine Zeitlang uns selbst beruhigen und überzeugen, daß es so nötig sei und einem guten Zwecke diene. So sind wir eben, und alles ist so klar wie der Tag. Es ist klar, daß hier niemand anderes als Rodion Romanowitsch Raskolnikow im Spiele ist und sogar im Vordergrunde steht. Ja, natürlich, man kann ihn glücklich machen, man kann ihm seine Universitätsstudien bezahlen, ihn zum Kompagnon am Bureau machen und sein Schicksal sicherstellen; vielleicht wird er mit der Zeit ein reicher, allgemein geachteter Mensch sein, wird vielleicht auch als berühmter Mann sein Leben beschließen. Und die Mutter? Ja, hier handelt es sich doch um Rodja, um den teuren Rodja, den Erstgeborenen! Wie soll man nicht einem solchen Erstgeborenen selbst eine solche Tochter zum Opfer bringen! O ihr lieben und ungerechten Herzen! Herr Gott, wir werden vielleicht auch vor dem Lose Ssonjetschkas nicht zurückschrecken! Ssonjetschka, Ssonjetschka Marmeladowa, die ewige Ssonjetschka, solange die Welt steht! Das Opfer, haben Sie das Opfer genau ermessen? Wirklich? Geht es nicht über Ihre Kraft? Ist es zum Nutzen? Ist es vernünftig? Wissen Sie denn auch, Dunjetschka, daß Ssonjetschkas Los durchaus nicht schlechter ist als Ihr Los mit Herrn Luschin? ›Von Liebe ist hier nicht die Rede‹, schreibt Mama. ›Wenn aber nicht nur von Liebe und Achtung nicht die Rede ist, sondern, im Gegenteil, Abscheu, Verachtung und Ekel vorhanden sind, was dann? Dann geht es wieder darauf hinaus, daß man auf die Reinlichkeit sehen muß ‹. Ist es vielleicht nicht so? Wissen Sie, wissen Sie, wissen Sie, was diese Reinlichkeit bedeutet? Wissen Sie, daß die Luschinsche Reinlichkeit dasselbe ist wie die Reinlichkeit Ssonjetschkas, vielleicht noch ärger, gemeiner, weil Sie, Dunjetschka, immerhin auf einen erhöhten Komfort rechnen, während es sich dort einfach um den Hungertod handelt! ›Teuer, teuer kommt diese Reinlichkeit zu stehen, Dunjetschka!‹ Nun, und wenn es einmal über Ihre Kraft geht und Sie bereuen? Wieviel Gram, Trauer, Flüche und heimliche Tränen wird es da geben, denn Sie sind doch nicht die Marfa Petrowna! Und was soll dann mit der Mutter geschehen? Sie ist ja auch jetzt schon unruhig und quält sich; aber später, wenn sie alles klar sieht? Und was wird mit mir geschehen? ... Was haben Sie sich tatsächlich von mir gedacht? Ich will nicht Ihr Opfer, Dunjetschka, ich will es nicht, Mama! Es wird nicht geschehen, solange ich lebe, es darf nicht geschehen! Ich nehme es nicht an!«
    Er kam plötzlich zur Besinnung und blieb stehen.
    »Es soll nicht geschehen? Und was willst du tun, damit es nicht geschieht? Wirst du es verbieten? Was für ein Recht hast du dazu? Was kannst du ihnen deinerseits versprechen, um dieses Recht zu beanspruchen? Dein ganzes Schicksal, deine ganze Zukunft ihnen zu weihen, wenn du die Studien absolviert und einen Posten bekommen hast ? Das haben wir schon gehört, das ist das ›B‹, wo ist aber das ›A‹, was soll ich jetzt tun? Man muß doch jetzt gleich etwas unternehmen, verstehst du das? Was tust du aber jetzt? Du beutest sie doch nur aus. Sie bekommen ihr Geld doch nur als Vorschuß auf ihre Pension oder auf das Gehalt von einem Herrn Swidrigailow! Wie willst du sie denn vor den Swidrigailows, vor Afanassij Iwanowitsch Wachruschin schützen, du zukünftiger Millionär, du Zeus, der du ihr Schicksal in deiner Hand hast? Nach zehn Jahren? Nach zehn Jahren wird aber deine Mutter vor dem Tücherstricken, vielleicht auch vor Tränen erblindet sein; wird am Fasten zugrunde gehen; und die Schwester? Nun, denk dir mal aus, was mit deiner Schwester nach zehn Jahren oder in diesen zehn Jahren geschehen kann! Weißt du es?«
    So quälte und reizte er sich mit diesen Fragen, sogar mit einer gewissen Wollust. Alle diese Fragen waren übrigens nicht neu und plötzlich, sondern alt und in Schmerzen gereift. Seit langem hatten sie ihn zu martern angefangen und ihm sein Herz zerrissen. Sein jetziger Gram war in ihm schon längst entstanden; er war gewachsen, hatte sich angesammelt, war in der letzten Zeit zur Reife gekommen, hatte sich konzentriert und die Gestalt einer schrecklichen, wilden und phantastischen Frage

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