Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Arbeit hätte sein sollen. Entweder das, oder sie kritzelt in ihrem Tagebuch herum. Sie können das nicht länger unter den Teppich kehren. Es bestärkt sie nur in dem Gefühl, über den Regeln zu stehen. Immer noch das Töchterchen des adligen Herrn zu sein, das sie einmal war, statt der das Priesterinnenamt anstrebenden Novizin, als die sie sich fühlen sollte.«
Sabrina reagierte gereizt auf die spöttische Betonung, die Schwester Brigh auf das Wort »anstrebend« legte, aber ein Blick von Ard-siúr, und sie verzichtete darauf, ihrem Ärger Luft zu machen.
»Ist das wahr, Sabrina? Glauben Sie, dass Sie über unseren Regeln stehen? Dass die gesellschaftliche Position Ihrer Familie Sie zu besonderer Rücksichtnahme berechtigt?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
Schwester Brigh knallte das Tagebuch auf Ard-siúrs Schreibtisch, was die Katze fauchend herunterspringen und in Deckung gehen ließ. »Sabrinas mangelnde Hingabe und ihr Unvermögen, sich an unsere Lebensart zu halten, schwächt ihre Anwartschaft. Und ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass es besser für sie wäre, den Orden zu verlassen und zu ihrer Familie zurückzukehren.«
Ard-siúr richtete den Blick wieder auf Sabrina. »Das sind ernste Vorwürfe, die Schwester Brigh erhebt. Könnte es sein, dass Sie ein Leben in unserer Gemeinschaft gar nicht so sehr erstreben, wie Sie glauben? Dass Sie sich nach der Zukunft zu sehnen beginnen, die Sie ohne die tragischen Umstände hätten haben könnten?«
Sabrina blinzelte erstaunt. Hatte Ard-siúr das ganz bewusst erwähnt? Wusste sie, was Sabrina in ihr Tagebuch geschrieben hatte? Oder war es nur Zufall, dass sie dieses Thema angeschnitten hatte? Das war immer schwer zu sagen bei der Priorin ihres Ordens, die über die Gabe zu verfügen schien, alles Mögliche wahrzunehmen. Besonders die Dinge, die man nicht bekannt werden lassen wollte.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sich zu zwingen, an jenen lange zurückliegenden Novembertag zurückzudenken. Sabrina hatte eisern verdrängte Erinnerungen ausgegraben und vergessen, wie weh sie taten.
»Ich bin mehr als bereit, meine Pflichten als bandraoi -Priesterin zu übernehmen«, sagte sie mit einem gekränkten Blick zu Schwester Brigh. »Und ich wollte Sie nicht warten lassen, Ard-siúr. Ich versuchte nur … Wissen Sie, es ist heute vor sieben Jahren geschehen, Ard-siúr, und … ich hatte das Gefühl, als müsste ich es mir noch einmal deutlich in Erinnerung rufen, bevor es mir entglitt.«
Ard-siúr nickte bedächtig. »Ah ja, der Tod Ihres Vaters.«
»Der Mord an ihm«, verdeutlichte Sabrina. »Es ist heute sieben Jahre her, dass mein Vater von den Amhas-draoi angegriffen und getötet wurde.«
»Und aus gutem Grund, wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte stimmt«, brummte Schwester Brigh. »Ard-siúr, selbst wenn es für Sie nicht schlimm genug ist, dass Sabrina sich ihren Pflichten entzieht und sich aufführt, als wäre sie hier die Hausherrin, müssen Sie doch erkennen, dass ihre Anwesenheit dem Orden unerwünschte Aufmerksamkeit einbringt. Noch nie zuvor in unserer Geschichte wurde eine unserer Priesterinnen von den Amhas-draoi verhört.«
»Es war nicht meine Schuld, dass sie mit mir sprechen wollten. Ich habe ihnen nichts erzählt.«
»Also auch noch Geheimnisse vor der Bruderschaft, die geschworen hat, uns zu beschützen, indem sie die Grenze zwischen den Anderen und den Menschen hütet? Das wird ja immer schlimmer.«
»Das war es nicht, was ich meinte. Sie verdrehen mir das Wort im Mund.«
»Das genügt!« Ard-siúr hob eine Hand.
Aber Schwester Brigh, die in Fahrt gekommen war, ließ sich davon nicht aufhalten. »Ein Vater, der sich der schwarzen Magie bedient. Ein Bruder, der vor den Amhas-draoi auf der Flucht ist. Die Familie Douglas ist verflucht. Und je eher diese junge Frau von hier verschwindet, desto besser für den Orden.«
Sabrina warf der alten Nonne einen bösen Blick zu.
»Ich sagte, das genügt!« Ard-siúrs scharfe Stimme brachte Schwester Brigh endlich zum Schweigen, obwohl ihr Gesicht noch immer rot vor Zorn war und ihre Augen funkelten. »Dies ist weder der richtige Moment noch der passende Ort. Falls Sie stichhaltige Argumente vorzubringen haben, Schwester, tun Sie es bei einer anderen Gelegenheit, dann werden wir darüber sprechen.«
Darauf wandte Ard-siúr sich Sabrina zu und lächelte sie an. »Ich habe Sie nur hergebeten, meine Liebe, um Ihnen einen Brief zu geben, der von einem Boten für Sie
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