Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
überbracht wurde.«
Wie konnte ein einziger Satz ihr den Magen zusammenkrampfen und sie wünschen lassen, sie könnte sich in einem Mauseloch verkriechen? Sabrinas Erfahrung nach verhießen Briefe niemals etwas Gutes. Sie waren wie eine noch nicht explodierte Bombe in der Hand.
Die Tür sprang auf, und die sehr aufgeregte Schwester Anne trat einen Schritt ins Zimmer. »Ard-siúr, Sabrina wird sofort auf der Krankenstation gebraucht. Ein Mann wurde hergebracht, der halb ertrunken am Strand unterhalb des Dorfes gefunden worden ist.«
»Darf ich gehen?«, fragte Sabrina mit einem bittenden Blick zu Ard-siúr.
Schwester Brigh verzog das Gesicht, als bisse sie in etwas Saures, aber die Priorin des Ordens entließ Sabrina mit einer gebieterischen Handbewegung. »Gehen Sie! Schwester Ainnir benötigt Ihr Geschick. Der Brief kann bis zu Ihrer Rückkehr warten.«
Sabrina raffte mit einer Hand die Röcke und eilte aus dem Zimmer und hinter Schwester Anne her. Sie hätte den Unglückseligen, der sie buchstäblich im letzten Augenblick gerettet hatte, küssen können.
Da war es nur fair, die Gefälligkeit zu erwidern.
»Lenken Sie die magische Energie, als führten Sie ein chirurgisches Instrument! Präzise, konzentriert«, flüsterte Schwester Ainnir über der reglosen Gestalt des Mannes, der zwischen ihnen lag.
Sabrina bemühte sich, die Magie, die in ihrem Blut schwelte und in ihren Knochen kribbelte, zu bremsen, weil sie im Moment weniger die Genauigkeit eines Stiletts als vielmehr die Stumpfheit einer Streitaxt hatte. Ließe sie diese Macht jetzt frei, würde sie den Pechvogel vor sich zu Asche verbrennen.
»Geben Sie acht, Sabrina! Ihr Kopf ist nicht bei der Sache.«
Nein, ihr Kopf kochte noch immer vor Empörung über Schwester Brighs Beschuldigungen. Mangelnde Hingabe. Über den Regeln stehen. Zeit vergeuden. Wenn Sabrina nicht auf der Hut war, würde die Prinzipalin der Novizinnen sie in eine Kutsche nach Belfoyle setzen lassen, bevor das Jahr beendet war. Was für eine bösartige Kuh!
»Sabrina! Seien Sie vorsichtig!«
In einem atemberaubenden Lichtbogen aus Rot und Gold, Korallenfarben und blassem Grün loderte die Magie auf und erleuchtete Sabrinas Inneres, bis sie das Dröhnen in ihren Ohren spürte, dessen Schwingungen die Härchen an ihren Armen aufrichtete und ihr die Brust zusammenschnürte wie ein Korsett aus Fischbeinstäbchen.
Der Mann verkrampfte sich und rang verzweifelt nach Atem, den er nicht finden konnte. Wellen des Zorns und der Verzweiflung, Furcht und Panik gingen von ihm aus.
Die Emotionen tobten durch Sabrinas Schädel wie Tiere durch einen Käfig. Sie taumelte unter dem Pochen hinter ihren Lidern und den Punkten und Feuerrädern, die vor ihren Augen explodierten wie Feuerwerke.
Die Kehle des Mannes verengte sich, als er aus seiner Lunge, die voller Wasser und somit nutzlos war, ein Rinnsal Seewasser erbrach. Dann stieß er plötzlich mit der Faust um sich, was Sabrina schnell zurückspringen ließ.
Frustration, Enttäuschung, Wut – all das empfing sie von ihm, und es genügte, um ihr Schwindel zu verursachen. Sie errichtete schnell all ihre geistigen Barrikaden, und dennoch kämpfte sich das Echo seiner Qual hindurch, um sich wie messerscharfe Krallen in ihr Gehirn zu graben.
»Nicht aufhören!«, mahnte Schwester Ainnir. »Verlieren Sie nicht die Konzentration! Es ist noch zu früh.«
Die Fäden ihrer Feen magie tanzten an Sabrinas Haut entlang wie die prickelnde Spannung in der Luft vor einem herannahenden Gewitter. Ein schimmerndes Irrlicht geisterte in ihrem Augenwinkel und wisperte in ihrem Kopf wie eine Brise oder ein Echo oder das Rauschen von Wasser über Steinen.
Sie vertiefte sich in ihre Sinneseindrücke, und der überwältigende Andrang mitfühlender Empfindungen verringerte sich auf ein erträgliches Niveau. Oder zumindest so weit, dass sie nicht mehr Gefahr lief, das Bewusstsein zu verlieren.
Sabrina nahm das heilende Feuer zusammen, gewann die verlorene Konzentration zurück und benutzte ihren anhaltenden Ärger, um ihre Entschlossenheit zu skalpellartiger Vollkommenheit zu schärfen. Erst dann kehrte sie zum Bett des Mannes zurück, um Schwester Ainnir zu unterstützen, deren Kräfte nach Stunden des Ringens mit der Unterwelt um die Seele des verirrten Seemannes schwanden.
»So ist es gut. Spüren Sie, wie es sich Ihrem Willen beugt! Vorsicht. Erzwingen Sie es nicht!« Die Siechenmeisterin nahm Sabrinas Hand und führte sie zu einer Stelle über dem linken
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