Verführung Der Unschuld
und auf wunderbare Weise befriedigt wurde, genügte
ihr dies nach den Tagen der intensiven Nähe und Vertraulichkeit nicht mehr. Es gab keinen
Weg zurück. Ihr Herz wollte mehr. Sie war verliebt, bis über beide Ohren in Federico und
Lorenzo verliebt, und es tat so weh, dass sie sich jeden Tag aufs Neue vornahm, sie zur Rede
zu stellen. Aber sie konnte es nicht.
Und so verging Woche um Woche, und Giulia liebte und litt, und weinte sich abends in den
Schlaf. Wenn sie geahnt hätte, dass Lorenzo ähnlich fühlte, hätte sie sich vielleicht doch
getraut, die Situation zu klären. Aber so wie sie Angst hatte, dass sie dann beide verlieren
würde, so fürchtete Lorenzo sich vor einer Eifersuchtsszene und dem Unverständnis seines
Bruders …
Kapitel 15
Ende einer Romanze
Mamsell Concetta rotierte. Der drei Uhr Bus, mit dem Giulia zurückfahren wollte, musste
längst die Haltestelle passiert haben. Wieso kam sie nicht und half ihr wie vereinbart in der
Küche? Es war doch hoffentlich nichts geschehen? Allmählich machte sie sich Sorgen. Giulia
war nach Lucca gefahren, um zum Arzt zu gehen, weil sie sich seit Tagen nicht wohl fühlte.
Ihr Gesicht hatte eine kränkliche Blässe angenommen und ihr Kreislauf war schwach, so dass
ihr oftmals schwindlig wurde.
»Gut, dass du wenigstens kommst«, klagte Concetta, als Antonella hereinkam.
»Wieso? Wo brennt’s denn?«
»Giulia ist noch nicht zurück, und die anderen sind noch dabei, die Pavillons zu putzen!«
Antonella schaute auf die Küchenuhr an der Wand. »Merkwürdig. Sie müsste längst wieder
hier sein. Aber vielleicht hat sie ja einfach den Bus verpasst, oder der Termin beim Arzt hat
sich verzögert. Der nächste Bus kommt in einer Stunde. Inzwischen kann ich dir helfen. Sag
mir einfach, was ich tun soll.«
***
»Was ist denn hier los?« Fassungslos schaute Antonella in Giulias Zimmer umher, um sich
einen Reim auf das bestehende Chaos zu machen. Die Schubladen der Kommode waren
aufgezogen, und die Türen des Kleiderschranks standen sperrangelweit offen. Auf dem Bett
lagen Shirts, Blusen und Unterwäsche in kleinen Haufen aufgetürmt, und Giulia war damit
beschäftigt, sie mehr oder weniger lieblos abwechselnd in ihre Koffer oder Reisetasche zu
stopfen.
»Hör sofort auf mit dem Unfug und erzähl mir, was passiert ist!«
Giulia reagierte nicht. Sie tat so, als ob Antonella Luft für sie wäre, und fuhr fort, ihre
Sachen einzupacken. Ihre Bewegungen waren fahrig, und sie steckte ohne System ihre
Kleidung mal da, mal dort hinein.
»Hör auf und sprich mit mir!« Antonella packte Giulia mit beiden Händen an den Schultern
und drehte sie zu sich herum.
Giulia wehrte sie ab, schlug mit einer Hand nach ihr und trat einen Schritt zurück. Ihre
Augen waren vom Weinen gerötet, und es sprach blanke Wut aus ihnen, als sie mühsam und
ein wenig nasal hervorstieß: »Was willst du von mir? Ich packe, ich gehe – das siehst du
doch!«
»Bist du verrückt geworden? Du kannst doch nicht einfach Hals über Kopf davonrennen!
Was ist denn los mit dir?«
»Das geht dich gar nichts an!«, fauchte Giulia in einem derart wütenden Tonfall, dass
Antonella für einen Augenblick erschrak.
»Oh doch, es geht mich etwas an – du hast hier immerhin einen Arbeitsvertrag!«
»Pah! Vertrag her oder hin – die werfen mich doch sowieso raus, wenn sie …«
Sie brach mitten im Satz ab, denn erneut strömten ihr die Tränen über die Wangen. Sie zog
schniefend die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Die schwarze
Wimperntusche war verschmiert und hatte dunkle Ränder unter ihren Augen hinterlassen.
»Bitte!« Antonella versuchte einen besänftigenden Ton anzuschlagen und machte eine
Handbewegung, dass Giulia sich auf den einzigen freien Stuhl setzen sollte, was sie, wenn
auch widerwillig, schließlich tat. Antonella reichte ihr ein Taschentuch, das sie aus ihrer
Rocktasche fischte. »Nun putz dir erstmal die Nase, und dann erzählst du mir bitte endlich,
was das alles soll! Ich bin doch deine Freundin, der du alles sagen kannst.«
Giulia schnäuzte sich geräuschvoll, was allerdings nicht viel nutzte, denn sobald sie anfing
zu sprechen, rannen ihr erneut die Tränen über das Gesicht. »Du«, stieß sie spitz hervor, »du
nennst dich Freundin und bist doch nur eine falsche Schlange!«
Antonella zuckte zusammen, als ob sie eine Ohrfeige erhalten hätte, und für einen Moment
nahm ihr Gesicht einen gekränkten Ausdruck an. Dann versuchte sie ruhig und
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