Verfuehrung in aller Unschuld
blitzschnell wegdrehte.
Keuchend stand sie da, zitternd vor Wut und völlig aufgelöst.
Domenico maß sie mit einem prüfenden Blick aus kühlen grauen Augen. Augen, die bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken schienen, als könnten sie alle Schutzmauern durchdringen und die Frau dahinter sehen, die niemand kannte.
Lucy atmete schwer. Ihr Puls raste. Ihre Haut brannte.
Allmählich legte sich das Schwindelgefühl, und zornig funkelte sie den Mann an, der ihr die letzte Hoffnung und den letzten Rest Freude über ihre Freilassung geraubt hatte.
„Rühren Sie mich nicht an!“
„Sie wären beinah in Ohnmacht gefallen.“
„Ich falle nie in Ohnmacht“, fauchte Lucy, obwohl er natürlich recht hatte. Fast wäre sie auf seinem teuren Parkett zusammengebrochen.
„Sie brauchten Hilfe.“ Er wirkte kein bisschen verärgert über ihren Angriff, eher nachsichtig, was sie noch mehr auf die Palme brachte.
Seine Augen schimmerten silbern, sein Mund verriet pure Sinnlichkeit.
Ein erregendes Prickeln überlief sie, wie sie es bisher nur einmal im Leben verspürt hatte.
Sie hatte gewusst, dass Domenico Volpe gefährlich war – nur nicht, wie gefährlich.
„Lassen Sie mich los, ich kann allein stehen.“
„Aber Sitzen ist bequemer, oder?“, erkundigte er sich mild lächelnd, als wüsste er, dass sie ganz weiche Knie hatte. Und weshalb.
Hastig griff sie nach dem Magazin. „Na gut, dann setze ich mich eben.“
Er wies auf die Couch, doch sie wählte einen Schwingsessel aus schwarzem Leder, Welten entfernt von der spartanischen Sitzgelegenheit in ihrer Zelle und sündhaft bequem, wie sie zugeben musste. Obwohl sie sich bemühte, so zu tun, als ließe der Luxus sie völlig kalt.
„Wussten Sie denn nichts von dem Artikel?“
Nur keine Schwäche zeigen, sagte sie sich. Es war allerdings gar nicht so leicht, dem Mann, der den ebenso unerwarteten wie heftigen Anfall sinnlichen Begehrens in ihr ausgelöst hatte, in die Augen zu sehen.
„Nein.“ Schaudernd betrachtete Lucy die Zeitschrift in ihren Händen.
„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Einen Brandy, eine Tasse Tee?“
Verblüfft über sein freundliches Angebot, blickte sie auf, nur um festzustellen, dass er mindestens so überrascht wirkte, wie sie es war.
Woraus sie schloss, dass sie noch jämmerlicher aussah, als sie sich fühlte. Wenn schon Domenico Volpe sich dazu hinreißen ließ, ihr eine Stärkung anzubieten …
„Nein, danke.“
Aber er ging schon zu seinem Schreibtisch. „Ich lasse uns Kaffee kommen.“ Was sie wollte, zählte anscheinend nicht.
Sie konzentrierte sich wieder auf die Zeitschrift. Wie konnte Sylvia ihr das antun? Hasste ihre Stiefmutter sie denn so sehr?
Es brach ihr das Herz. Sylvia und die Kinder waren ihre einzige Hoffnung gewesen, an ihr früheres Leben anknüpfen zu können. Eine Familie zu haben. Einen Ort, an den sie gehörte.
Einzelne Zitate aus dem Artikel wirbelten Lucy durch den Kopf. Sie sei immer schon anders gewesen, hieß es da. Eigensinnig und launisch, aber immer zum Feiern aufgelegt. Habe ihr eigenes Wohl über das der Familie gestellt .
Kein Wort davon, wie reserviert Sylvia sich der Teenagertochter ihres Ehemannes gegenüber verhalten hatte. Und sie dennoch jahrelang als kostenloses Kindermädchen für ihre vier Kinder aus erster Ehe benutzt hatte. Oder was Sylvia unter „Feiern“ verstand, nämlich Pizzaessen im Fast-Food-Restaurant am Samstagabend.
Oder dass es Lucys Vater gewesen war, der seine Tochter auf seine ruhige, bedächtige Art dazu ermuntert hatte, von zu Hause wegzugehen. Sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, wie er es genannt hatte, und neue Erfahrungen zu sammeln.
Oh ja, sie hatte jede Menge neue Erfahrungen gesammelt. Nur andere als erwartet.
In dem Artikel, der sich auf ein kürzlich mit ihrer Stiefmutter geführtes Interview bezog, wurde Lucy als herzlos, vergnügungssüchtig und geldgierig dargestellt. Er schien all die scheußlichen Gerüchte zu bestätigen, die damals im Gerichtssaal über sie kursiert hatten. Schlimmer noch, er bewies, dass ihre eigene Familie sich von ihr abgewandt hatte.
Was sollten nur ihre jüngeren Stiefgeschwister von ihr denken?
Ihr war schlecht vor Verzweiflung. Sylvia und sie waren nie wirklich miteinander warm geworden, aber Lucy hätte nie gedacht, dass ihre Stiefmutter sie so hintergehen würde.
Jetzt gab es niemanden mehr, der zu ihr hielt.
Sie fühlte sich verraten und verkauft, und der Schmerz über den Tod ihres Vaters flammte
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