Vergiss mein nicht
blickte wieder zum Haupteingang und stellte sich dieselbe Frage. Und auch, warum es ihr eigentlich nicht egal war, ob ihr Exmann auftauchte oder nicht. » Weiß ich nicht«, antwortete sie. » Seit wann ist es denn in dem Laden hier so voll?«
» Es ist Samstagabend, und die Football-Saison hat noch nicht angefangen. Was sollen die Leute denn sonst machen?«, sagte Tessa, ließ Sara aber nicht das Thema wechseln. » Also, wo bleibt Jeffrey?«
» Vielleicht kommt er ja gar nicht.«
Die Art, wie Tessa grinste, verriet, dass sie sich einen boshaften Kommentar verbiss.
» Mach schon, sprich es aus.«
» Ich wollte gar nichts sagen«, antwortete Tessa, und Sara war nicht ganz klar, ob sie log.
» Wir sehen uns nur ab und zu.« Sara hielt inne und fragte sich, wem sie eigentlich etwas beweisen wollte: Tessa oder sich? Dann fügte sie hinzu: » Es ist ganz und gar nichts Ernstes.«
» Ich weiß.«
» Wir haben uns noch nicht mal richtig geküsst.«
Tessa hob resigniert die Hände. » Ich weiß«, wiederholte sie, ein spöttisches Grinsen um die Mundwinkel.
» Wir sehen uns manchmal. Das ist alles.«
» Mich brauchst du nicht zu überzeugen.«
Sara lehnte sich seufzend ans Geländer. Sie kam sich dämlich vor, eher wie ein Teenager als wie eine erwachsene Frau. Sie hatte sich vor zwei Jahren von Jeffrey scheiden lassen, nachdem sie ihn mit der Inhaberin des Schilderladens im Bett erwischt hatte. Warum sie sich neuerdings wieder mit ihm traf, war sowohl Sara als auch ihrer Familie ein Rätsel.
Ein Schmusesong erklang, und das Licht wurde schwächer. Eine rotierende Spiegelkugel sank von der Decke herab und verteilte blitzende kleine Lichtquadrate im gesamten Raum.
» Ich muss mal«, sagte Sara zu ihrer Schwester. » Pass bitte auf, ob Jeff kommt.«
Tessa schaute über Saras Schulter. » Geht aber gerade jemand rein.«
» Es gibt jetzt zwei Kabinen.« Sara steuerte auf die Damentoilette zu und sah, dass gerade ein dicker Teenager hineinging. Sie erkannte Jenny Weaver, eine ihrer Patientinnen, und winkte ihr zu, aber das Mädchen hatte sie nicht gesehen.
Tessa kommentierte: » Hoffentlich hältst du es noch aus.«
Sara runzelte die Stirn, als sie beobachtete, wie ein weiteres Mädchen, das sie nicht kannte, Jenny auf die Toilette folgte. Wenn das so weiterging, würde Sara noch die Blase platzen.
Tessa deutete mit dem Kopf zur Eingangstür. » Wie war das nochmal? Hochgewachsen, dunkelhaarig und gut aussehend?«
Sara fand es irgendwie albern, dass sie unwillkürlich lächeln musste, als sie Jeffrey auf die Bahn zusteuern sah. Er kam wohl direkt von der Arbeit, denn er trug immer noch seinen anthrazitfarbenen Anzug mit einer burgunderroten Krawatte. Als Polizeichef von Grant County kannte er die meisten Anwesenden. Er sah sich um, und sie hoffte, dass sie es war, nach der er Ausschau hielt. Er lavierte sich durch die Menschenmenge, blieb dabei hier und dort stehen, um Hände zu schütteln. Sie verzichtete darauf, ihn irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. In dieser Phase ihrer Beziehung überließ sie Jeffrey die Initiative.
Sara hatte Jeffrey bei einem ihrer ersten Fälle als Coroner der Stadt kennen gelernt. Sie hatte die Stellung als leitende Amtsärztin angenommen, um ihren Partner an der Kinderklinik von Heartsdale auszahlen zu können, der in den Ruhestand gehen wollte. Und Sara hatte diesen Posten behalten, obwohl es inzwischen Jahre her war, dass sie Dr. Barney abgefunden hatte. Ihr gefielen die Herausforderungen der Pathologie: Vor zwölf Jahren, als Sara ihre Zeit als Assistenzärztin in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta abgeschlossen hatte, war es eine gewaltige Umstellung von der hektischen Arbeit dort, bei der es oft um Leben und Tod ging, auf Bauchschmerzen und Schnupfen in der hiesigen Kinderklinik gewesen. Und der Job als Coroner stellte Anforderungen, die ihren Verstand hellwach hielten.
Schließlich wurde sie von Jeffrey entdeckt. Abrupt hörte er auf, Betty Reynolds die Hand zu schütteln, und seine Mundwinkel wanderten aufwärts, bevor sie gleich darauf wieder nach unten sanken, als die Besitzerin des Kramladens weiter auf ihn einredete.
Sara konnte sich vorstellen, worüber Betty sprach. Im Laufe der letzten drei Monate war zweimal bei ihr eingebrochen worden. Ihr war anzusehen, dass sie sich beschwerte, und sie merkte gar nicht, dass Jeffreys Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt.
Schließlich nickte Jeffrey, tätschelte Betty die Schulter und gab ihr noch einmal die Hand.
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