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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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fest, dass Jenny Recht hatte. Sara war eine miserable Lügnerin. Aber abgesehen davon konnte Jeffrey sogar auf die Entfernung Blutflecken auf Saras Hemd und Jeans erkennen. Augenscheinlich war jemand drinnen auf der Bahn verletzt und möglicherweise, ja, sogar wahrscheinlich, tot. Er sah wieder zu Jenny hinüber und vermochte jetzt das runde Mädchengesicht mit der Bedrohung in Einklang zu bringen, die von dem Teenager ausging.
    Erschreckt registrierte er, dass seine Waffe noch gesichert war. Er entsicherte sie und gab Sara mit einem warnenden Blick zu verstehen, sich im Hintergrund zu halten.
    » Jenny?« Man sah an Saras Hals, wie sie schlucken musste. So pseudomelodiös hatte Jeffrey Sara noch nie sprechen hören. Sie behandelte Kinder sonst auch nicht wie Idioten. Was auch immer Jenny Furchtbares auf der Bahn angerichtet haben mochte, es hatte Sara verändert. Jeffrey konnte sich keinen Reim darauf machen. Es waren keine Schüsse zu hören gewesen, und Buell Parker, der Sicherheitsmann der Rollerbahn, hatte gesagt, alles sei bestens, als Jeffrey sich bei ihm erkundigt hatte. Jeffrey fragte sich, wo Buell wohl stecken mochte. War er da drinnen, sicherte einen Tatort und ließ deswegen niemanden hinaus? Was konnte Jenny dort nur getan haben? In diesem Moment hätte Jeffrey alles dafür gegeben, um die Szene, die sich vor ihm abspielte, anhalten zu können, um erst einmal genau herauszufinden, was eigentlich los war.
    Jeffrey lud seine Waffe durch. Sara riss bei dem Geräusch den Kopf herum, und streckte ihm eine Hand entgegen, als wolle sie sagen: Nein, beruhige dich. Tu das nicht. Er sah über ihre Schulter hinweg zum Eingang der Bahn. Er hatte erwartet, dort eine Traube von Neugierigen zu sehen, die ihre Nasen an die Scheibe pressten. Aber da war niemand. Was war drinnen nur passiert, das interessanter sein konnte als das, was sich hier vor ihm abspielte?
    Sara versuchte es nochmal. Sie sagte: » Es geht ihr gut, Jenny. Komm mit und überzeuge dich.«
    » Dr. Linton«, sagte Jenny mit bebender Stimme. » Bitte reden Sie nicht mehr mit mir.«
    » Kleines«, erwiderte Sara ebenso zittrig wie Jenny. » Sieh mich an. Bitte, sieh mich an.« Als das Mädchen nicht reagierte, sagte Sara: » Es geht ihr gut. Ich verspreche dir, es geht ihr gut.«
    » Sie lügen«, antwortete Jenny. » Ihr seid alle Lügner.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu. » Und du bist der schlimmste Lügner von allen«, sagte sie zu ihm. » Für das, was du getan hast, wirst du in der Hölle schmoren, du Scheißkerl.«
    Der Junge wurde plötzlich wütend und schleuderte ihr ein speichelsprühendes » Da seh ich dich dann wieder, Miststück« entgegen.
    Jennys Stimme klang auf einmal gefasst. Etwas schien zwischen ihr und dem Jungen geklärt zu sein, und als sie antwortete, klang ihre Stimme kindlich. » Das weiß ich.«
    Aus dem Augenwinkel sah Jeffrey, dass Sara weiter nach vorn ging. Er beobachtete auch, dass Jenny über den kurzen Lauf ihrer Beretta hinweg den Kopf des Jungen ins Visier nahm. Das Mädchen stand wie versteinert da und wartete. Ihre Hände zitterten nicht, ihre Lippen bebten nicht.
    » Jenny…«, fing Jeffrey an. Er suchte nach einem Ausweg. Er konnte doch nicht auf ein kleines Mädchen schießen. Er würde niemals seine Waffe auf dieses Kind abfeuern können.
    Jenny sah über die Schulter, und Jeffrey folgte ihrem Blick. Endlich war ein Polizeiwagen vorgefahren, und mit gezogenen Waffen stiegen Lena Adams und Brad aus. Mit Jeffrey an der Spitze bildeten sie zu dritt eine Formation wie aus dem Lehrbuch.
    » Erschießt mich«, sagte Jenny. Immer noch hatte sie ihre Beretta auf den Jungen gerichtet.
    » Waffe runter«, befahl Jeffrey den beiden Polizisten. Brad gehorchte sofort, aber Jeffrey sah, dass Lena zögerte. Er warf ihr einen strengen Blick zu und wollte seinen Befehl wiederholen, da senkte auch sie ihre Pistole.
    » Ich tue es«, flüsterte Jenny. Sie verharrte unglaublich still, sodass Jeffrey sich fragte, was wohl in diesem Kind vorging, dass es sich so bedingungslos dieser Situation ergab.
    Jenny räusperte sich und sprach gefasst und deutlich: » Ich werde es tun. Ich hab es schon mal gemacht.«
    Jeffrey sah Sara an, als suche er ihre Bestätigung, aber ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem jungen Mädchen mit der Pistole.
    » Ich habe es schon mal gemacht«, wiederholte Jenny. » Erschießt mich, oder ich werde erst ihn abknallen und dann mich.«
    Zum ersten Mal an diesem Abend erwog Jeffrey ernsthaft

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