Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
geschundenen Wundflächen verhindern. Mikayla war von einem Psychopathen verschleppt worden, der ihre Künste für seine schändlichen Zwecke erzwungen hatte. Das ganze Krankenhaus sprach seit über zwei Wochen fast über nichts anderes. Auch ein Arzt aus dem General Hospital war in das Verbrechen hineingezogen und entführt worden.
Die Hand der Patientin lag kühl und trocken zwischen ihren Fingern. Reese suchte neben dem Verband nach dem Puls, blickte auf ihre Armbanduhr und trug das Ergebnis auf ein Blatt in ihrem Klemmbrett ein.
„Ms. Costello.“ Sie strich ihr über den Arm. „Ich muss Ihnen etwas Blut abnehmen. Glauben Sie, Sie können ein paar Tropfen entbehren?“
Mikayla öffnete die Augen. Wie seit ihrer Einlieferung wirkten sie matt und teilnahmslos. Trotzdem versuchte Reese täglich, Ms. Costello mit einem Späßchen aufzuheitern. Sie nahm sich grundsätzlich die Zeit, persönlich nach ihren Patienten zu schauen, obwohl das zahlreiche unbezahlte Überstunden bedeutete.
„Sie haben Ihren Besuch verschlafen, Ihre Bodyguards sind gerade rausspaziert“, erzählte sie munter drauflos, während sie Desinfektionsspray auf Mikaylas Armbeuge sprühte und mit einem Tupfer trocknete.
Eine rote Locke fiel Mikayla in die Stirn. „Bodyguards?“
Das war das erste Wort, das sie seit Beginn der Behandlung sprach. Hatte Reese sie erschreckt mit ihrer unbedachten Plapperei? Sie versuchte, die Kuh vom Eis zu holen und beugte sich ein wenig vor.
„Einer der beiden hat Ihnen das Leben gerettet. Sie werden bald wieder völlig wohlauf sein, Ms. Costello.“ Vorsichtig stach sie zu, traf auf Anhieb die Vene und wartete, bis die Spritze volllief. Sie legte Mikaylas Finger auf die Einstichstelle und knickte den Arm der Patientin ein. „Schön fest pressen.“
Reese sortierte die Utensilien auf dem Tablett und kontrollierte noch einmal den Einstich. Als Mikayla nichts weiter sagte, wünschte sie ihr Gute Nacht und tat, als wäre soeben nichts Besonderes passiert. Man durfte Patienten niemals Verwunderung spüren lassen. Mikayla Costello befand sich auf dem Weg der Besserung, sie hatte es geschafft, den Panzer um sich herum zu sprengen. Jetzt konnte die Arbeit der Psychiater beginnen, die Mikayla auf dem weiten Weg der Genesung begleiten würden.
Vor dem Krankenzimmer blieb Reese einen Moment stehen und schloss die Augen. Sofort malte sich die breitschultrige Silhouette des Fremden mit seinem abweisenden Blick an die Innenseiten ihrer Lider. Sie sollte sich diese Schwärmerei aus dem Kopf schlagen. Vielleicht war er gebunden und einer dieser Männer, für die es keine andere gab. Das machte ihn umso sympathischer. Frauen gleich welchen Aussehens oder Charmes weckten in solchen Männern einfach kein Begehren, da konnte man sich auf den Kopf stellen und mit den Beinen Hurra rufen. Und überhaupt: Einen gebundenen Mann wollte sie nicht, würde sie auch niemals wissentlich anbaggern. Sie dachte an die Affären, die unter den männlichen Vertretern ihres Berufsstandes und dem weiblichen Pflegepersonal stattfanden. In einer Heimlichkeit, die so offenkundig durch das Kollegium waberte, dass es unter den geschlossenen Augen aller passierte, aber niemand etwas wissen wollte. Wie oft hatte sie zwei Schwestern tuscheln sehen, eine davon mit rot geweinten Augen, weil der smarte Herr Doktor sein Versprechen, sich von Frau und Kind zu trennen, im Lebtag nicht einzuhalten gedachte. Ihr als Ärztin blieben solche Avancen weitestgehend erspart, da verhielten sich die Kollegen lieber zurückhaltend. Es störte Reese nicht im Geringsten, im Gegenteil.
Sie meldete sich bei der Stationsleiterin ab, eilte ins Labor, um die Blutprobe abzugeben und ein Schwätzchen mit den Kollegen zu halten und ging anschließend in den Personalbereich. Während des Umziehens dachte sie an den langen Feierabend, der vor ihr lag. Als Alana und Natana noch in ihrem Apartment hausten, hatte sie täglich gewünscht, ihre Schwester würde endlich eine eigene Bleibe finden. Ein Vierteljahr lang, und erst das Treffen mit dem Makler am Freitag war erfolgreich gewesen. Am Samstagmorgen hatte Alana es ihr beim Frühstück freudestrahlend mitgeteilt und gegen Mittag bereits den Wagen vollgepackt. Kaum waren Nat und Alana zwei Tage fort, vermisste Reese die beiden und fühlte sich einsamer denn je zuvor, obwohl sie das Singledasein bisher immer genossen hatte. Sie musste dringend etwas an diesem Zustand ändern – lange hielt sie ihre Unzufriedenheit nicht mehr
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