Veritas
absteigen. Wir waren am Ziel.
Als er uns auf den Strang einer Glocke hinwies, damit wir unsere Ankunft avisierten, war ich ein wenig überrascht: Wir befanden uns vor dem Eingangstor eines Klosters.
«Eine Moment, eine Moment», sprach in unbeholfenem Italienisch ein Schatten, der hinter dem engmaschigen, schwarzen Gitter neben der Eingangsglocke aufgetaucht war.
Als er unsere Namen hörte, nickte er zustimmend. Wir wurden erwartet. Zwei Tage zuvor hatte der Kutscher während eines Halts auf der Reise einen Boten geschickt, damit er unsere baldige Ankunft melde.
Der Kutscher war mir beim Ausladen des Gepäcks behilflich, und so vernahm ich von ihm, dass wir uns anschickten, eines der größten Frauenklöster der Stadt, fast gewiss aber das wichtigste, zu betreten.
Wir wurden in einer großen, düsteren Eingangshalle empfangen, aus der wir wenige Minuten später wieder ins helle Tageslicht traten, in den Kreuzgang des Innenhofes, einen langen Säulengang aus weißen Steinen, geschmückt mit den Bildnissen jener Ordensfrauen, die im höchsten Grade ihre Tugendhaftigkeit unter Beweis gestellt hatten. Im Gefolge einer alten Nonne, die stumm zu sein schien, vielleicht aber nur unseres Idioms unkundig war, gingen wir raschen Schritts unter den Arkaden voran und gelangten ins Gästehaus. Uns wurden zwei nebeneinanderliegende Zimmerchen zugewiesen. Während Cloridia und der Knabe sich erschöpft auf das Bett warfen, mühte ich mich damit ab, das Gepäck in unsere Unterkunft zu tragen, wobei mich ein junger Idiot unterstützte, den die Schwestern vorübergehend für Aufräum- und Reinigungsarbeiten in den Kellergeschossen in Dienst genommen hatten. Der Idiot, ein gebückter und tollpatschiger Mensch, gleichzeitig jedoch muskulös und von großem Wuchs, war überaus geschwätzig, und am Tonfall seines Geplappers meinte ich zu erkennen, dass er mir Fragen nach der Reise oder Ähnlichem stellte. Schade, dass ich kein einziges Wort verstand.
Nachdem ich den Idioten mit einem breiten Lächeln entlassen und die Tür hinter mir geschlossen hatte, blickte ich mich um. Das Zimmer war spärlich eingerichtet, doch es fehlte nicht an den zum Leben nötigsten Dingen. Auf jeden Fall erschien es weit besser als der Keller aus Tuffstein, jene römische Behausung, mit der wir in den letzten zwei Jahren hatten vorliebnehmen müssen und wo wir schweren Herzens unsere Jungfräulein zurückgelassen hatten. Ich wandte den Blick zu Cloridia.
Natürlich erwartete ich Klagen, Vorwürfe und Zweifel an den Versprechen des Abbé Melani: Bei Nonnen unterzukommen war das Schlimmste, was ihr widerfahren konnte, das wusste ich bereits. Die Bräute Christi waren nämlich die einzigen Frauen, mit denen mein Ehegespons sich durchaus nicht vertrug.
Aber kein Wort kam über ihre Lippen. Auf dem Bett liegend, das Kind, das im Schlaf hustete, noch fest an sich gepresst, schaute Cloridia sich verwirrt um, und sie hatte den leeren Blick des Menschen, der kurz davor ist, dem dunklen Halbschlaf größter Erschöpfung zu erliegen.
Das Kind ließ mich aufschrecken. Es wurde von einem stärkeren Hustenanfall denn je geschüttelt. Sein Zustand schien sich zu verschlechtern. Nach einer Weile klopfte es.
«Ziegenfett und Dinkelmehl mit einem Tropfen Wermutöl, auf der Brust zu verreiben. Und das Köpfchen muss auf diesem Kissen aus Dinkelspelz ruhen.»
Mit diesen Worten in makellosem Italienisch betrat, unter höflichem, aber entschlossen eiligem Gebaren, eine junge Nonne unsere Unterkunft.
«Ich bin Camilla, die Chormeisterin des Augustinerinnenklosters», stellte sie sich vor, während sie, ohne Cloridia um Erlaubnis zu bitten, das Kissen schon unter den Kopf des Kleinen schob und ihm, nachdem sie sein Leibhemdchen gelüftet, die Salbe auf der Brust verrieb.
«Chor … meisterin?», stotterte ich, indes ich niederkniete, um ihr Gewand zu küssen und ihr für die erwiesene Gastfreundschaft zu danken.
«Ja, die Leiterin des Chores», bestätigte sie freundlich.
«Es ist eine Überraschung, hier in Wien ein so vollkommenes Italienisch hören zu dürfen, ehrwürdige Mutter.»
«Ich bin Römerin, wie Ihr; aus Trastevere, um genau zu sein. Mit bürgerlichem Namen Camilla de’ Rossi. Aber nennt mich bitte nicht Mutter: Ich bin nur eine Laienschwester.»
Cloridia hatte sich nicht vom Bett gerührt. Ich sah, dass sie unseren Gast scheel von der Seite beäugte.
«Und er soll zwei Wochen lang nichts anderes als eine dünne Suppe zu sich nehmen», schloss die
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