Veritas
Vergangenheit betreten, ich selbst würde die nahe gelegenen, sanften Hügel von Nußdorf hinaufsteigen, wo die Infanteristen der christlichen Armeen den widerwärtigen Abschaum Mohammeds von Haus zu Haus, von Heuschober zu Heuschober, von Weinberg zu Weinberg immer weiter zurückgedrängt hatten.
Ergriffen wandte ich mich zu Cloridia um. Meine Gemahlin, unseren schlafenden Knaben im Schoß, sprach kein Wort. Aber ich wusste, dass auch sie an meinen Gedanken teilhatte. Und es waren keine fröhlichen Gedanken.
Wir hatten eine beschwerliche, fast einmonatige Reise hinter uns. Ende Januar waren wir in Rom aufgebrochen, nicht ohne uns zuvor bänglich vor dem verehrungswürdigen Leichnam des Heiligen Filippo Neri verbeugt zu haben, des Schutzpatrons unserer Stadt. Abbé Melani hatte Sorge getragen, dass wir stets Platz im Fond der Kutsche erhielten und nicht neben den Schlägen sitzen mussten, wo man weniger komfortabel reist. Nachdem wir die Pferde in Civita Castellana gewechselt und in Otricoli übernachtet hatten, waren wir durch das umbrische Narni, dann durch Terni gekommen und schließlich, um Mitternacht, ins alte Foligno gelangt. Von da an hatte ich, der ich nie weiter als bis nach Perugia gekommen war, Tag für Tag in einem anderen Ort übernachtet: von Tolentino, Loreto und Sinigaglia, welches in einer lieblichen Ebene vor dem Adriatischen Meere liegt, fuhren wir bis nach Rimini und Cesena in der Romagna, dann nach Bologna und Ferrara und weiter hinauf bis nach Chioggia am Delta des Flusses Po, nach Mestre vor den Toren Venedigs und Sacile und Udine, der Hauptstadt der Republik Venedig. Ich hatte die Nächte von Gorizia und Adelsberg gesehen, um glücklich bis nach Laibach zu gelangen, wo der Schnee, der uns von unserer Abfahrt bis zur Ankunft unentwegt begleitet hatte, immer noch fiel. Auch hatte ich in Cilla, in Marburg an der Drau, in Graz, der Hauptstadt der Steiermark, in Pruch und schließlich in Stuppach geschlafen. Andere Städte, die wir passierten, waren Fano, Pesaro und Cattolica, ein kleines Örtchen in der Romagna, und von dort Forlì und Faenza. Wir hatten den Po überquert, waren durch Corsola und Cavanella an der Etsch gereist, hatten auf der Fahrt über den Brenta das reizende Mira gesehen und waren nach Fusina gelangt, wo man in die Gewässer der großen Lagune von Venedig einfährt. Und schließlich hatten wir den Fluss Lintz befahren, auf einem jener kleinen Boote, die dortselbst zu Recht «hölzerne Häuser» genannt werden, da sie alle Bequemlichkeiten eines Wohnhauses besitzen. Zwölf Männer saßen am Ruder, und sie trieben das Boot schnell voran, sodass das Panorama vor unseren Augen innerhalb weniger Stunden von Felsen in Wälder, von Weinbergen in Kornfelder, von großen Städten in Schlossruinen überging.
Kälte und Schnee schienen nicht nachlassen zu wollen. Jetzt standen wir endlich vor den Toren Wiens, ängstlich angesichts dessen, was uns erwartete. Die Stadt, die uns in ihren Schoß aufnehmen würde und von der wir so oft geträumt hatten, galt zu Recht als das «Zweite Rom»: Sie war die Hauptstadt des unermesslichen Heiligen Römischen Reiches. Unter ihre Herrschaft fielen zuvörderst Ober- und Niederösterreich, Kärnten, Tirol, die Steiermark, der Vorarlberg und das Burgenland, die Erbländer der Habsburger, wie das sogenannte Erz-Herzogtum Österreich ob und unter der Enns, über das sie schon lange Zeit, bevor sie zu Kaisern gekrönt wurden, als Erzherzöge regierten. Doch das Heilige Römische Reich umfasste auch unzählige andere Länder und Regionen mit Küsten oder Gebirgen. Dazu gehörten zum Beispiel die Kraina, Istrien, Dalmatien, das Banat, die Bukowina, Croatien, Bosnien, die Herzegowina, Slavonien, Hungarn, Böheim und Mähren, Galizien und Lodomerien, Schlesien und Siebenbürgen. Außerdem besaß es noch einige Hoheitsrechte über die Deutschen Kurfürstentümer einschließlich Sachsens und daher auch Polens. Und seit dem Mittelalter hatten dem Reich auch die Schweiz, Schwaben, das Elsass, Burgund, Flandern, Artois, Franche-Comté, Spanien, die Niederlande, Sardinien, die Lombardei, die Toskana, das Großherzogtum Spoleto, Venedig und Neapel angehört – oder würden ihm in naher Zukunft angehören.
Millionen und Abermillionen Untertanen zählte die Alma Urbe Caesarea, sowie Dutzende und Aberdutzende unterschiedlicher Kulturen und Sprachen. Deutsche, Italiener, Magyaren, Slawen, Polen, Ruthenier, schwäbische Handwerker und böhmische Köchinnen,
Weitere Kostenlose Bücher