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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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habe ich nur ein einziges Mal an einem Ereignis dieser Art teilgenommen. Auch damals war es kalt, es war Nacht, und es schneite, oder nein, ich glaube, es regnete. Auf jeden Fall herrschten in meiner Seele Eiseskälte, Regen und Düsternis.

    Damals lag ein anderer Körper im Sarg. Betrug, Verrat und Frevel hatten seinen Sarg gezimmert. Man hatte ihn vergiftet, ausbluten lassen, zerfleischt. Das Blut war ihm aus den Augen, das Hirn aus der Nase getropft. Nichts blieb von ihm als ein erbärmliches Bündel verfaultes Fleisch.
    Ungerührt lachten die Mörder in der Dunkelheit.

    Auch damals war ich Attos Begleiter. Wir befanden uns mitten in einem wimmelnden Ameisenhaufen: Von allen Seiten strömten die Menschenmassen herbei. So überfüllt war jeder Winkel des Raumes, dass Abbé Melani und ich in einer Viertelstunde eben zwei Schritte machen konnten; man kam weder vor noch zurück, man sah gerade mal die Verzierungen an der Decke und die Inschriften an den Arkaden oder an der Spitze der Kapitelle.

    Ob Hispaniam assertam Ob Galliam triumphatam
    Ob Italiani liberatam Ob Belgium restitutum

    Vier dorische Säulen mit Motti gab es dort, das Sinnbild der Helden. Und sie waren sehr hoch, etwa fünfzig Fuß, den großen historischen Vorbildern in Rom, der Antoniussäule und der Trajanssäule, nachempfunden. Zwischen ihnen hing über dem Castrum ein künstlicher Nachthimmel aus Schleiern, welche, mit vergoldeten Flammen besetzt und in der Mitte eine Krone formend, durch goldene Kordeln und Schärpen gerafft und emporgezogen wurden. Vier gewaltige Schnallen in Gestalt majestätischer Adler, welche jedoch den Kopf auf die Brust senkten, hielten die Kordeln zusammen.
    Neben ihnen hielt die Allegorie des Ruhmes mit strahlenbekränztem Haupt (sie war der Claritas auf den Münzen des Kaisers Konstantin nachgebildet) einen Lorbeerkranz in der Linken und eine Sternenkrone in der Rechten.
    Hinter uns warteten dicht vor der breiten Eingangsschwelle vierundzwanzig Kammerdiener auf ihren Herren. Plötzlich erstarb das Gemurmel in der Menge. Alles verstummte, und ein heller Schein bezwang die nächtliche Stunde: Es war das Licht der weißen Fackeln, die von Edelknaben gehalten wurden. Er war eingetroffen.

    Das Hufeklappern der Pferde, das draußen auf dem Pflaster verklingt, reißt mich aus meinen Erinnerungen. Endlich setzen sich die vier Lakaien, deren schneebedeckte Paletots in der Winternacht leuchten, in Bewegung. Atto ist angekommen.

    Die Flämmchen der Kerzen zittern und verschwimmen vor meinen Augen, weit öffnen sich derweil die Türflügel der Kirche, wo ich ihn erwarte: Notre Dame des Victoires, die Basilika der Barfüßigen Augustiner. Auf der schwarzen Kutsche schimmert der rote Samt der Bahre im Licht der Fackeln: Atto Melani, Abbé von Beaubec, Gentilhomme des Königs, gebürtiger Bürger der Serenissima und mehrmaliger Konklavist, ist im Begriff, feierlich Einzug zu halten.
    Die alten Diener tragen den Sarg auf dem Rücken, in welchen Attos Wappen, das Schweinchen auf grünem Grund, geschnitzt ist. Unter der Ehrengalerie aus den schwarzen Schleiern mit silbernen Tropfen bahnen sie sich einen Weg zwischen den Anwesenden zu beiden Seiten, den wenigen, denen der olim berühmte Name Atto Melanis, des letzten Zeugen einer vom Krieg hinweggefegten Zeit, vielleicht noch etwas sagt. Die vier Lakaien schreiten bis zur Mitte des Castrum doloris , wo der Katafalk aufragt, steigen die Stufen der stumpfen Pyramide hinauf und übergeben den Leichnam ihres alten Herren den offenen Armen der beiden silbernen Engel, deren zum Himmel weisende Hände endlich empfangen, worauf sie gewartet.
    Vom Katafalk hängt ein Trauertuch aus schwarzem Samt mit silbernen Fransen, bestickt mit goldenen Buchstaben:

    Hic iacet
    Abbas Atto Melani Pistoriensis in Etruria ,
    Pietate erga Deum
    Obsequio erga Regem
    Illustris
    Ω . Die 4 . Ianuarii 1714 . Ætatis sua octuagesimo octavo
    Patruo Dilectissimo
    Dominicas Melani nepos mestissimus posuit

    Die gleichen Worte werden in den Stein des Grabmals gemeißelt werden, das Attos Neffe bereits beim Florentiner Bildhauer Rastrelli in Auftrag gegeben hat. Die Augustinermönche haben eingewilligt, dass er in einer nahe beim Hochaltar gelegenen Seitenkapelle, direkt gegenüber der Tür zur Sakristei, aufgestellt werde. Hier also wird Atto, seinem Wunsche entsprechend, bestattet werden, in der Kirche, in der auch die sterblichen Überreste eines anderen toskanischen Musikers ruhen: des großen Giambattista

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