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Vermählt mit einem Fremden

Vermählt mit einem Fremden

Titel: Vermählt mit einem Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ANNE O'BRIEN
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Schande, ein so attraktiver Mann, und man musste ihm Verrat vorwerfen. Trotzdem nahm sie sich die Zeit, eine grobe Decke über die schlaff hingestreckte Gestalt zu werfen, und schob ihm sogar ein Päckchen, in dem sich kostbare Spitze befand, unter den Kopf.
    Ein paar Stunden später atmete Harriette tief und erleichtert aus. Der Reiz eines solch aufregenden Törns ließ ihr stets das Blut schneller durch die Adern rinnen, doch vor der Landung an der englischen Küste stieg die Spannung ins Unerträgliche. Immer bestand die Möglichkeit, dass alles in einem Desaster endete, die Zollbeamten sich triumphierend ihrer Fracht bemächtigten und sie und ihre Mannschaft vor den Richter geschleppt wurden. Jeder, der dem Freihandel huldigte, wusste, dass die Strafe für Schmuggel der Strick sein konnte.
    Heute Nacht lief alles glatt. In der heimischen Bucht, in der sie anlegten, war alles ruhig. Weder lauerte ein Zollkutter im Fahrwasser, noch stürmte ihnen die bewaffnete Zollgarde die Klippen hinab entgegen. Zweifellos schlummerte deren Anführer Captain Rodmell tief und fest, ahnungslos, was sich auf dem Kiesstrand von Old Wincomlee abspielte.
    Als Harriette endlich am Ufer stand, rieb sie sich die Hände, zufrieden, wieder einmal gute Arbeit geleistet zu haben. Für ein solches Unternehmen war dies die perfekte Stelle; ein schmale Bucht mit sanft abfallendem Strand, von hohen, schützenden Klippen umgeben, auf deren scharfem Grat hoch oben Lydyard’s Pride aufragte, ihr heiß geliebtes Heim mit seinen massiven Mauern und dem Turm am Seitenflügel. Aus dessen höchstem Fenster schickte eine brennende Laterne ihr Licht, wenn sie ungefährdet landen konnten. Und nun war alles erledigt. Die Fässchen und Ballen waren schnell ausgeladen und auf kräftigen Schultern oder auf Ponys fortgeschafft worden. Man hatte den schnittigen Kutter, Harriettes Stolz und Wonne, hinauf auf den Strand gezogen, als wäre er ein ganz gewöhnliches Fischerboot.
    Leer lag der Strand nun, nur George Gadie und sein Sohn standen noch bei Harriette. Der Freihandel lag ihnen im Blut, denn ihre Familien lebten schon seit Generationen in Old Wincomlee. Genau wie ihre eigene Familie hier schon immer ansässig war. Auch den Lydyards war das Schmuggeln quasi angeboren; seit wenigstens zwei Jahrhunderten schon segelten Lydyards über den Kanal nach Frankreich und schafften die sonst unverschämt hoch besteuerten Luxusgüter illegal nach England. Alle, außer ihrem Bruder Sir Wallace, Friedensrichter und stolzer Besitzer von Whitescar Hall. Ihr Halb bruder, kein echter Lydyard, was vielleicht seine Missbilligung bezüglich des Freihandels erklärte. Und so oblag es Harriette, die Tradition fortzusetzen und die Schmuggeltörns zum Besten des Fischerdorfes Old Wincomlee zu leiten.
    Aber nun musste sie sich mit ihrer unvorhergesehenen Fracht befassen. Der Mann lag auf dem Kies, wo ihn zwei kräftige Burschen hatten fallen lassen, denen die geschmuggelten Brandyfässchen eher am Herzen lagen als ein fremder, blutverschmierter Passagier.
    „Na, Captain Harry, was ist nun mit ihm?“, fragte George.
    Ja, was? Harriette schaute auf den Verletzten. Sollte sie ihn zum Sterben am Strand liegen lassen und so einen Verräter ausrotten? Oder sollte man ihn Captain Rodmell übergeben? Oder … oder was? Möglicherweise war er sowieso längst tot. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht abgewandt, einen Arm zur Seite gestreckt, doch seine Finger bogen sich wie um Gnade bittend aufwärts. Gegen besseres Wissen rührte die Haltung ihr Herz.
    Als sie den Kies unter schweren Schritten knirschen hörte, schreckte sie auf. Quer über den Strand schritt eine hochgewachsene Gestalt auf sie zu. Harriette entspannte sich und hob grüßend eine Hand. „Alex!“
    „Es ist gut gelaufen, Harry.“ Ihr Cousin Alexander Ellerdine trat zu ihnen. „Ein guter Törn, und verflixt schnell!“
    „Und eine ebenso gute Landung, dank deiner Hilfe. Monsieur Marcel wäre im Laufe des Monats an einem weiteren Törn interessiert.“
    „Das schaffen wir“, sagte Alexander zuversichtlich. „Ich werde es den anderen sagen.“ Während er sich zum Gehen wandte, wurde er der leblosen Gestalt am Boden gewahr. „Wer ist das?“
    Schon wollte Harriette es ihm erklären, doch dann schwieg sie, ohne zu wissen, warum. Üblicherweise hatte sie keine Geheimnisse vor Alexander, doch was sie über den Mann mit dem schönen Gesicht und den üblen Taten wusste, behielt sie lieber für sich. Bis sie mehr über ihn

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