Vermaehlung um Mitternacht
und bildete für ihr elegantes blaues Seidenkleid einen idealen Hintergrund.
Unwillkürlich wanderte ihr Blick doch zu ihrem Ehemann. Er trug formelle Abendkleidung, in der er wie immer schrecklich attraktiv aussah. Sie begann leicht zu zittern, aber nicht, weil ihr kalt gewesen wäre.
Mit ausgestreckten Händen schwebte Therese auf sie zu. Sie war klein, blond und anmutig, wie eine Fee aus dem Märchenbuch. „Julia! Wie ich mich freue, dass du kommst! “
Verwirrt ließ sich Julia von ihrer Cousine umarmen. „O ja. Ich bin auch sehr froh, dich zu treffen.“ antwortete Julia emotionslos, obwohl dies in all den Jahren, die sie nun schon bei ihrer Cousine wohnte, die erste Geste der Zuneigung war.
Die porzellanblauen Augen leuchteten auf. „Julia, ich weiß, dass ich dir nicht immer gerecht geworden bin ... das hat Alec mir vor Augen geführt ... ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihst.“ Die goldenen Locken bauschten sich um Thereses makelloses Gesicht, während eine einzelne Träne ihre Wange hinabkullerte. Ein Engel hätte nicht zerknirschter aussehen können.
Zu Alecs grenzenloser Verärgerung wirkte seine Frau nicht im Geringsten ungehalten angesichts dieses durchsichtigen Manövers. Stattdessen tätschelte sie Therese unbeholfen die Schulter und sagte: „Na, na. Kein Grund, mich so fest zu umarmen. Ich bin überhaupt nicht wütend auf dich.“
„Ach, Julia! Du bist so freundlich! Und das nach all den Malen, wo ich mich nicht gerade vorbildlich benommen habe.“
Wieder rollte ihr eine Träne die Wange hinab, und Alec hätte das scheinheilige Weibsstück am liebsten zum Fenster hinausgeworfen.
Mit rotem Gesicht murmelte Julia: „O nein! Du musst mich bald mit Tante Lydia besuchen kommen.“
Therese entzog sich ihr und tupfte sich mit einem Spitzentaschentüchlein die Augen. „Du weißt ja nicht, was das für mich bedeutet.“ „Oh, ich glaube, wir können es uns vorstellen“, meinte Alec bissig. Er fragte sich, was das Biest im Schilde fühlte. Jetzt wunderte er sich, dass er Therese je für schön gehalten hatte. Ihre Gestalt entsprach zwar zweifellos dem herrschenden Ideal, doch erkannte er auf einmal, dass ihre Augen viel zu nahe beieinander standen, und außerdem fehlte ihrem kleinen, grausamen Mund Julias Sinnlichkeit.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, warf Julia ihm einen strengen Blick zu, bevor sie sich wieder ihrer Cousine zuwandte. „Ihr seid im Hunterston House immer willkommen.“
„Ach, du bist ja so reizend.“
Alec sah den Triumph in den blauen Augen aufblitzen. Das war selbst für Thereses Verhältnisse ein bisschen zu viel. Nicht, dass ihn ihr Wunsch überraschte, den Kontakt mit Julia aufrechtzuerhalten, das war nur normal. Julia hatte jetzt mehr Geld, als eine vernunftbegabte Person je würde ausgeben können. Und doch konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass mehr hinter dieser kleinen Aufführung steckte.
Er ging zur Tür. „Ich unterbreche diese rührende kleine Szene zwar nur ungern, aber Julia und ich müssen nach Hause.“
„Alec!“ sagte Therese vorwurfsvoll. „Wir haben uns doch noch kaum miteinander unterhalten. Ich will alles über die Hochzeit wissen.“ Unter gesenkten Lidern warf sie ihm einen verschlagenen Blick zu. „Mutter und ich sind Julias einzige Verwandte. Wir möchten wirklich alles über die Hochzeit erfahren.“
Das gab ihm zu denken. Je rascher er Julia aus den giftigen Klauen ihrer Cousine befreite, desto besser. „Komm, Julia. Mrs. Winston hält das Abendessen bereit.“
Julia errötete. „Tut mir Leid, dass ich so spät dran bin. Ich bin es nicht gewohnt, bedient zu werden.“ Ihr breiter Mund verriet irgendeine heftige Erregung, und er glaubte, Tränen in ihren Augen aufschimmern zu sehen.
Sofort legte sich Alecs Ärger. Die letzten Tage waren die reinste Hölle gewesen. Er nahm ihre Hand. „Komm. Unser Zuhause wartet.“
Einen schrecklichen Moment lang befürchtete er, sie würde zu weinen anfangen. Doch sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln, bei dem sich ihm unerklärlicherweise das Herz im Leib umdrehte. Um sein Unbehagen zu verbergen, sagte er streng: „Ab jetzt erwarte ich, dass du Johnston mitnimmst, wenn du ausgehst.“
„Ach, du warst wohl wieder bei deiner wohltätigen Organisation, Julia?“ fragte Therese mit falscher Freundlichkeit. Obwohl sie sich Mühe gab, die liebende Cousine zu spielen, konnte sie es sich nicht verkneifen, ihm einen boshaften Blick zuzuwerfen. „Julia war immer ziemlich
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