Verplappert
Fuß.
Ich sah an mir herab. Gott, ich war ja halb nackt. Das hatte ich ganz vergessen. Meine Wangen brannten. Aber stopp mal, warum interessierte es sie denn, ob ich möglicherweise leicht bekleidet anderen Nachbarn begegnete? Um die Uhrzeit schliefen doch sicher eh noch alle. Warum also die Frage?
»Sie sehen nicht aus, als ob Sie einen Schlüssel dabei haben«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Oh.« Ich wusste doch, dass ich was vergessen hatte.
»Lesbe.«
»Frodo, halt den Schnabel.«
Er wand sich und hielt dann still.
Mein Blick sprang wie ein Tischtennisball zwischen der Frau und meinem Balkon hin und her. Shit.
»Oder soll ich eben über den Balkon klettern und Ihnen die Tür dann von innen aufmachen?«, fragte meine Nachbarin.
Wow, träumte ich? Hätte sie mich mitten in der Nacht halb nackt, zerkratzt, vollgeschissen und mit einem »Lesbe«-schreienden Papagei aufgeweckt, wäre ich wohl nicht so freundlich gewesen. Vermutlich hätte ich die Balkontür verbarrikadiert und die Polizei gerufen. Upps, schätze, sie wartete noch auf eine Antwort. »Ja, ja, bitte. Äh, aber ignorieren Sie bitte das Chaos in meiner Wohnung.«
Meine Nachbarin schlenderte an mir vorbei, zog ihre echt warm aussehenden Filzpantoffeln aus und warf sie auf meinen Balkon. Dann schwang sie athletisch ein Bein über die Balkonbrüstung.
»Ich bin heute erst …«
»Eingezogen. Ich weiß. Ich hab Sie und Ihren Freund gesehen.«
Hä? »Freund?« Ihhh. Ich schüttelte mich. Wirkte ich so verzweifelt? »Nein, nein, das war mein kleiner Bruder. Frodo gehört ihm.«
Sie verlagerte ihr Gewicht, schwang das zweite Bein über die Brüstung und schon stand sie auf meinem Balkon. Nachdem sie sich ihre Pantoffeln wieder angezogen hatte, atmete sie stoßweise aus und lächelte. »Ach so.«
Frodo wand sich erneut und ich hielt ihn etwas fester. Mir war jetzt echt kalt. »Ach so?«
Meine Nachbarin grinste. »Ja. Ach so.« Sie drehte sich von mir weg. Fast schon in meiner Wohnung sah sie kurz über ihre Schulterzurück. »Ich mach Ihnen dann gleich die Wohnungstür auf. Sie gehen am besten bei mir durch und kommen mir dann entgegen.«
»Einverstanden.« Frodo immer noch an mich pressend betrat ich die fremde Wohnung. So ein Mist, dass ich die gebrauchten Taschentücher alle auf den Boden geschmissen hatte.
* * *
Zögerlich ging ich weiter in die Wohnung meiner Nachbarin. Es war ja eigentlich unhöflich, mich umzuschauen, aber ich konnte nicht widerstehen. Auch sie hatte eine Bettcouch. Ihre schien aber im Gegensatz zu meiner bequemer und teurer. Ob die Matratze sogar einen Federkern hatte?
Unsere Wohnungen waren vom Schnitt her wie gespiegelt. Schon merkwürdig. Wir schliefen Wand an Wand, ohne uns zu kennen. Na ja, aber ich wohnte ja erst seit weniger als vierundzwanzig Stunden in diesem Haus.
Der Wohnraum war hell. Orange und Beigetöne ließen die Wohnung warm wirken. Ein großes Regal trennte den Wohn- und Schlafbereich von dem mit einem Schreibtisch ausgestatteten Arbeitsbereich. Im Gegensatz zu meiner Wohnung war hier alles so aufgeräumt, als hätte sie Besuch erwartet.
Die Küche war nicht so zusammengeschustert wie meine, sondern eine kleine Einbauküche. Ein großer Kühlschrank stand zwischen Küche und Wohnbereich. Cool.
»Lesbe.«
Ich fixierte Frodo scharf. »Du treibst mich in den Wahnsinn, weißt du das eigentlich? Warum sagst du nicht mal was anderes? Irgendwas.«
Ich sollte mich besser beeilen, sonst würde sich meine Nachbarin noch wundern, was ich so lange in ihrer Wohnung machte. Durch eine halb verglaste Tür erreichte ich den Flur. Es roch in ihrer Wohnung sehr angenehm. Wie diese Duftkerzen, gegen die meine Eltern was hatten. Hey, jetzt konnte ich mir doch auch welche kaufen. Dieser Gedanke ließ mich schmunzeln. Trotz allem.
Den Umständen entsprechend sehr gut gelaunt öffnete ich die Eingangstür und trat hinaus ins Treppenhaus.
* * *
Lächelnd spähte ich um die Ecke.
Meine Nachbarin stand im Türrahmen meiner Wohnung, lächelte zurück und winkte mich heran.
Meine nackten Füße patschten über den kalten Flurboden, als ich – Frodo immer noch an mich pressend – auf meine Wohnungstür zuging. »Danke. Vielen Dank. Ich weiß gar nicht, was ich ...« Ein lautes Knallen hinter mir ließ mich zusammenzucken. Oh, oh. Ich zog den Kopf ein und drehte mich Böses ahnend um.
Die Tür meiner Nachbarin war zugefallen.
Ein leiser Seufzer ließ mich wieder zu meiner Wohnungstür
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