0258 - Der Dämonensauger
Sie war ahnungslos; sie mußte ahnungslos sein. Aber obwohl Gryf einem Liebesabenteuer nie aus dem Weg ging, interessierte ihn das Mädchen zur Zeit nur in zweiter Hinsicht. Wichtiger war der Vampir.
Er kam, mit zwei Stunden Verspätung. Gryf verfluchte die unbequeme Stellung, in der er auf dem Ast kauerte. Aber das Warten lohnte sich. Die riesige schwarze Fledermaus jagte direkt aus dem Vollmond heran, machte einen leichten Schwenk nach rechts und zog zwischen Baum und Haus vorbei.
Gryf zielte mit dem Silberstab wie mit einem Gewehr. Der Eichenbolzen lag fest an.
Als die Fledermaus sich auf die Fensterbank kauerte und menschliche Gestalt annahm, gab Gryf den geistigen Impuls. Die Magie des Silberstabs arbeitete in diesem Moment wie ein Katapult und schleuderte den Bolzen in gestrecktem Flug hinüber zum Fenster. Der Eichenpfahl durchschlug den Vampir, noch ehe er das Zimmer betreten konnte.
Gryfs Grinsen gefror jäh.
Der Vampir zerfiel nicht zu Staub. Den Gefallen tat er seinem Jäger nicht, aber die Aufschlagswucht trieb ihn ins Zimmer hinein, wo er polternd herumwirbelte und ein lautes Fauchen von sich gab.
Gryf stöhnte auf. Was war das? Das war unmöglich! Ein Vampir, in dessen Herzen ein Eichenpfahl steckte, konnte nicht mehr leben. Er zerfiel zu Staub und Asche. Nur in diesem Fall nicht. Das Ungeheuer trat zum Fenster zurück, sah halb vorgebeugt hinaus, und mit seinen weit aufgerissenen Augen schien es die Dunkelheit durchbohren zu wollen.
Wie grell sie glühten!
Gryf glaubte sich durchbohrt. Er preßte sich eng an den Stamm. Ein eisiger Schauer überlief ihn. Er begann, diesen Vampir zu fürchten. Das war eine völlig neue Generation! So etwas gab es gar nicht! Tageslicht-Vampire, die dem Sonnenlicht widerstanden, waren nichts Neues mehr, aber das hier…
Die Augen des Vampirs schwollen zu furchtbarer Größe an. Und da wußte Gryf, daß der Blutsauger ihn sah. Daß er genau wußte, wer sein Gegner war.
Blitzschnell schob der Druide den Stab auf Kugelschreiberlänge zusammen und ließ ihn in der Innentasche seiner Jeansjacke verschwinden. Er mußte kämpfen, sofort, oder er bekam keine Ruhe mehr. Der Vampir würde den Spieß umdrehen.
Gryf ließ sich vom Baum fallen.
***
Rany Blescy fuhr auf, als etwas oder jemand mit polternder Wucht in ihr Zimmer schoß. Sie brauchte nur zwei, drei Sekunden, um sich zu orientieren.
Sie sah Bewegung, und sie sah sie in der Dunkelheit mit ihren katzenhaften Augen so gut wie am hellen Tag! Sie sah einen hochgewachsenen Mann, der durchs Fenster hereingekommen sein mußte, jetzt aufsprang und herumwirbelte und aus dessen Rücken ein spitzer Gegenstand ragte.
Rany Blescy schleuderte die dünne Bettdecke hoch und stand senkrecht im Bett. Blitzschnell versuchte sie, die Gedanken des Eindringlings zu lesen, stieß aber auf eine undurchdringliche Sperre. Das war ungewöhnlich!
Telepathen waren unter den Menschen spärlich gesät, und dazu mußte dieses Prachtexemplar auch noch fliegen können, weil ein Erreichen des Fensters von außen sonst nicht gut möglich war. Warum aber starrte der Mann jetzt konzentriert nach draußen, dessen ganze Haltung eine Drohung darstellte?
Und warum starb er nicht, obgleich ein langes hölzernes Geschoß in seinem Körper steckte?
Rany Blescy begriff, daß das kein Mensch war. Und das ließ sie sofort angreifen. Sie jagte auf den Fremden zu, der im gleichen Moment herumwirbelte, seine Faust kreisen ließ und ihren Angriff damit stoppte. Vor ihren Augen schienen ein paar Sterne auseinanderzufliegen, und sie taumelte zurück bis fast zum Bett. Der Fremde knurrte. Er packte jetzt mit einem Ruck zu und riß sich das Stück Holz aus dem Körper. Knurrend betrachtete er es.
Rany formte das Feuer-Zeichen. Der Holzpflock in der Hand des Unheimlichen wurde zum überall zugleich brennenden Scheit. Aufschreiend ließ er es fallen. Aus seinen Augen flammten rote Blitze, die Rany Blescy abwehrte. Mit einem starken hypnotischen Schlag versuchte sie, ihn unter ihre Kontrolle zu bekommen, aber der Fremde bemerkte es rechtzeitig, warf sich herum und verschwand mit einem gestreckten Sprung durch das Fenster. Im Sprung noch begann er, sich zu verwandeln, und nahm die Gestalt einer gewaltigen Fledermaus an.
Mit einem Satz war Rany am Fenster, sah hinter ihm her. Der Fremde stürzte fast bis zum Erdboden, bevor er sich abfangen konnte. Und da sprang ihm ein anderer Mann entgegen. Die beiden Körper verkrallten sich ineinander.
Rany zögerte keine
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