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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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endlose Weite, nirgends eine Menschenseele. Ein Eldorado mit einer Bevölkerungsdichte von weniger als einem Einwohner pro Quadratkilometer. Von den schneebedeckten Bergen, die den Himmel auf ihren Schultern tragen, weht ein starker Wind hinunter in die Ebene. Mit der Abenddämmerung fällt das Thermometer wie ein Bleigewicht. Hier und da mit Kreosotbüschen getüpfelte spitze Hügel und Tafelberge. Friedvoll stille Erde unter dem stöhnenden Wind.
     »So wie ich bin und immer sein werde, spüre ich, daß ich eine Kraft bin, die erschafft und zerstört; jemand, der einen echten Wert besitzt und einen rechtmäßigen Platz und eine Mission unter den Menschen hat.«
     Sie rutschte träge auf ihrem Sitz hin und her. Eher das Gefühl der Bewegung als die Bewegung selbst. Entspannt und ruhig sank ihr Körper tiefer in die Polsterung des Sitzes. So wie ich bin … Die Worte schienen aus dem Meer der Buchstaben aufzutauchen und, umgeben von einem farblosen Nebel, in ihrer stummen Vision zu treiben. Gab es etwas hinter dem Schleier der Sprache, die uns mitteilt, daß…? Sie konnte nicht einmal für sich selbst formulieren, welche Aussage in dieser Welle von Worten steckte, die in diesem Augenblick die verborgenen Winkel ihres Ichs erhellten.
     Nach einer Weile verliefen die Worte in dem See ihres inneren Auges; sie verschwanden wie das Ektoplasma, das angeblich aus den Körpern von Besessenen aufsteigt.
     »Wer bin ich?« murmelte sie. »Was bin ich?«
     Und plötzlich fiel ihr wieder ein, daß sie eine Welt hinter sich ließ. Das Buch entglitt ihren Händen. Sie war wieder auf dem Friedhof hinter dem Ranchhaus und umarmte Bäume; sie ritt nackt auf einem weißen Hengst zum zugefrorenen See; Täler wurden vom Sonnenschein erstickt, die Erde war fruchtbar und brachte stöhnend Früchte und Blumen hervor.
     Erst nach dem Auftauchen der Krupanowa hatte sie den Namen Vanya gewählt. Davor war sie Miriam gewesen, und als Miriam hatte man eine rücksichtsvolle, zurückhaltende Frau zu sein.
     Die Krupanowa war Bildhauerin. Daß sie auch noch andere Fähigkeiten besaß – Fähigkeiten, die nicht so leicht einzuordnen waren –, mußte man ebenfalls zugestehen. Der Zusammenstoß mit einem Stern dieser Größe schleuderte Vanya aus ihrer engen Kreisbahn; während sie vorher als Nebel, als Kometenschweif sozusagen, existiert hatte, wurde sie nun zu einer Sonne, deren innere Gashülle, genährt von einer unerschöpflichen Energie, erglühte. Ihr Schaffen war erfüllt von einem wollüstigen Eifer. Mit Bister und getrocknetem Blut, mit Grünspan und grellen Gelbtönen blieb sie den Rhythmen und Formen, die ihre Visionen bevölkerten, auf der Spur. Gewaltige, orangefarbene nackte Gestalten hielten Brüste gepackt, von denen Blut und Schleim tropfte; mumiengleich bandagierte Odalisken und Apostel, die nicht einmal Christus gesehen hatte, zeigten ihre Wunden, ihre schwärenden Glieder, ihre aufgedunsenen Lüste. Da gab es die heilige Sossima und die heilige Savatyi, Johannes den Krieger und Johannes den Vorboten. Ihre Madonnen umrahmte sie mit Lotosblättern, mit goldenen Fickern und Kobolden, mit einem vielfältigen Gezücht im Stadium der Entstehung. Inspiriert von Kali und Tlalu, schuf sie Göttinnen, aus deren grinsenden Schädeln Reptilien krochen, deren Topasaugen in den Himmel schauten und deren Lippen von Flüchen geschwollen waren. Mit der Krupanowa führte sie ein eigenartiges Leben. Vom Ritual der Messe betäubt, taumelten sie zum Schlachthof und von dort weiter zum Leben der Päpste. Sie ließen die Fingerspitzen über die Haut von Idioten und Elefanten gleiten, sie photographierten Edelsteine und künstliche Blumen und Kulis mit nacktem Oberkörper; sie erforschten die pathologischen Ungeheuer der Insektenwelt und die noch pathologischeren Ungeheuer in Rom. Nachts träumten sie von den in der Moräne von Campeche begrabenen Götzenbildern und von Stieren, die aus dem Gehege stürmten, um unter Strohhüten zu sterben.
     Ihr Puls ging schneller, als die ungeordnete Reihe von Gedanken ihr helles, warmes Blut mit Macht durch ihre Adern trieb. Sie sah in das Buch auf ihrem Schoß und las abermals diese Worte:
     »So wie ich bin und immer sein werde, spüre ich, daß ich eine Kraft bin, die erschafft und zerstört, daß ich jemand bin, der einen echten Wert besitzt und ein Recht und einen rechtmäßigen Platz und eine Mission unter den Menschen hat.«
     Plötzlich, ohne Warnung oder Vorankündigung, setzte sich in ihr ein

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