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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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geworden. Es war direkt und kraftvoll – wie einer von Dempseys kurzen Körperschlägen. Am Kotztisch gab es keine Verbeugungen und Handküsse, keine Umgangsformen und Benimmregeln.
     »Bist du nun pervers oder nicht?« So beginnt an diesem Abend das Gespräch am Kotztisch.
     Die dunkle Frau, an die diese Frage gerichtet ist, findet diese direkte Art nicht immer angenehm, besonders dann nicht, wenn der Schlag mit solcher Wucht geführt wird. Sie versucht es mit – bildlich gesprochen – etwas Beinarbeit: ein kleiner Ausweichschritt, ein bißchen ducken. Aber heute abend hat sie kein Glück damit, denn ihr Gegner geht in den Clinch und gibt ihr ein paar kurze Schläge auf die Nieren. Und als Hildred sich dazwischenwirft und den Ringrichter spielen will, kriegt auch sie noch eins ab.
     »An dich«, sagt er zu ihr, »hab ich auch eine Frage. Mal angenommen«, fährt er schnell und unverblümt fort, »mal angenommen, ich gehe über den Washington Square, und ein Mann spricht mich an, macht mir ein eindeutiges Angebot. Was sollte ich deiner Meinung nach tun – ihn zu einem Kaffee einladen oder ihm eine reinhauen?«
     Der Blick, mit dem Hildred ihn ansieht, ist kalt wie ein Gletscher.
     »Laß es mich anders ausdrücken«, sagt Tony Bring schnell. »Wir wollen ja nicht alles durcheinanderbringen. Also frage ich dich lieber, was du tun würdest, wenn eine Frau – eine Frau wie sie, zum Beispiel – dich ansprechen und dir ein eindeutiges Angebot machen würde…«
     Vanya lehnte sich zurück und grinste.
     »Kannst du mir das direkt und mit wenigen Worten sagen?« rief er.
     Natürlich konnte Hildred das nicht. Sie hatte nie etwas mit wenigen Worten gesagt. Ihre Kiefer mahlten sich emsig durch die Abfallberge; sie zählte Namen und Definitionen auf, und während sie kaute und kaute, begann der Speichel zu fließen, und die Konservendosen und zerbrochenen Flaschen lagen ihr nicht mehr so schwer in ihrem großen Magen. Sie hatte bereits tausend Worte gesagt, ohne einer Antwort auch nur nahe gekommen zu sein.
     »Zur Sache jetzt!«
     »Aber du benimmst dich einfach lächerlich! Du greifst mich an wie ein pedantischer Idiot!«
     »Ich habe dir bloß eine einfache Frage gestellt.«
     »Aber ich hab dir doch schon zigmal gesagt: Ich habe keine fertige Einstellung dazu. Es käme ganz auf die Umstände an, auf die Frau, die mich anspricht, auf meine Stimmung, auf…«
     »Soll das heißen, daß du nicht weißt, ob du erfreut oder angewidert wärst?«
     »Angewidert?« Hildred wich aus. »Aber sie sind doch Menschen wie wir.«
     »Klar! Aber sie sind auch…«
     Es war ein häßliches Wort. Hildred wurde blaß, und einen Augenblick lang brachte sie keinen Ton heraus. Doch dann ergriff Vanya das Wort. »Nicht alle Perversen sprechen Leute auf der Straße an«, sagte sie, als wäre dies ein wichtiges Detail.
     »Gut«, sagte er, immer erregter. »Gut – mit dir kommt man immerhin ein Stück weiter. Du kannst dich wenigstens klar ausdrücken.«
     Er ging ein paarmal auf und ab, baute sich schließlich vor Vanya auf und sagte: »Kannst du mir auf eine offene Frage eine offene Antwort geben?«
     Die Worte schienen in Vanyas Ohren zu explodieren. Sicher wollte sie mit ihrem Kopfnicken ihre Zustimmung signalisieren, aber Tony Bring stand vor ihr wie ein Folterer, der auf das Ja wartete, das sie nicht über die Lippen brachte.
     »Kannst du? Kannst du?« wollte er wissen und beugte sich hinunter, bis sich ihre Nasen beinah berührten.
     Vanyas Kopf zuckte hin und her, als hätte sie plötzlich einen Anfall von Veitstanz. Ihre Augen waren groß und blickten ins Leere.
     Wieder ging Hildred dazwischen. »Ich werde nicht zulassen, daß sie darauf eine Antwort gibt«, sagte sie. »Du bist ein Dummkopf, wenn du glaubst, auf diese Weise etwas herauszukriegen. Wenn du ein bißchen Intelligenz hättest, würdest du gar keine Fragen zu stellen brauchen. Lies lieber deine Bücher – das ist die einzige Methode, wie du etwas lernen kannst.«
     »Ach, tatsächlich?« sagte er. Sie standen dicht voreinander, die Zähne gefletscht wie zwei räudige Straßenköter, die um einen Knochen kämpfen. »Ich weiß vielleicht nicht alles, aber ich weiß genug, um sie hinter Gitter zu bringen. Na? Jetzt lachst du nicht mehr.«
     »Du Idiot!« rief Hildred und warf trotzig den Kopf zurück. »Was willst du damit sagen?«
     »Was ich damit sagen will? Ich will damit folgendes sagen: daß es eine Sache ist, von platonischer Liebe zu

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