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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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versiegelten Lippen und einem steinern-undurchdringlichen Gesichtsausdruck dagesessen. Hin und wieder, wenn eine besonders üble Beschimpfung in ihre Richtung geschleudert wurde, überlief sie ein Schauer. Was Tony Bring betraf, so schien er nicht mehr Herr seiner selbst zu sein. Er ging auf und ab und drohte abwechselnd Hildred und Vanya mit der Faust. Er stieß die schrecklichsten, beleidigendsten Obszönitäten hervor. Er verfluchte sie, er belegte sie mit den widerwärtigsten Ausdrücken. Vanya gelang es, ihre sphinxartige Unerschütterlichkeit zu bewahren. Aber als er in einem letzten leidenschaftlichen Ausbruch auf Zehenspitzen vor ihr tanzte, sie bedrohte, sie beleidigte, ihr vor die Füße spuckte und schrie: »Du Laus!«, hielt sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf, mit Augen, die zuckten wie die einer Verrückten, und gab ihm jede Beleidigung, jeden Fluch zurück. Es endete mit hysterischen Zuckungen von Kummer und Wut. Hildred warf sich auf das Bett und versuchte, ihr Schluchzen in den Kissen zu ersticken. Daß sie weinte, ließ Tony Bring kalt. Endlich hat sie es kapiert, dachte er. Gut! Soll sie da liegen und den Schmerz des Lebens kosten.
     Nach einer Pause wandte er sich an Vanya, die sich etwas beruhigt hatte, und sagte im versöhnlichsten Ton, zu dem er fähig war: »Jetzt, wo der Krach vorbei ist, können wir vielleicht vernünftig reden. Mal sehen, ob wir uns verständigen können.«
     Vanya ging auf und ab. Ihre Augen blickten noch immer wild, und ihre Finger waren in ständiger Bewegung. Dünne Rauchwölkchen kamen aus ihrer Nase, und auf ihrer Brust lag Asche. Sie war gefährlich wie ein Messer, tödlich, kampfbereit; sie glühte von Kopf bis Fuß. Die Szene, die sich gerade abgespielt hatte, war für sie nicht mehr als eine Aufwärmübung gewesen. Sie war wütend, daß Hildred so jämmerlich nachgegeben hatte. Das war Feigheit, reine weibliche Feigheit, und einfach widerwärtig. Sie selbst war bereit, nicht nur mit ihrer Zunge, sondern auch mit den Händen. Sollte er doch versuchen, sie auch nur mit dem kleinen Finger anzurühren! Sie würde ihn in der Luft zerreißen, in kleine Stücke zerlegen, zu Hackfleisch machen.
     Als sie gefragt wurde, ob sie sich an dem Gespräch beteiligen wollte, reagierte Hildred nicht; ihre Schultern zuckten krampfhaft, und ihr Kopf sank noch tiefer in die Kissen. Offensichtlich würden die beiden es also allein ausfechten. Und ebenso offensichtlich war, daß Vanya damit einverstanden war, als sie ihm, mit grimmig zusammengepreßten Lippen und großen, ins Leere blickenden Augen, zunickte, er möge fortfahren.
     Doch als er den Mund öffnete, begann, wie als Begleitung seiner Worte, in ihrem Kopf eine seltsame Prozession: groteske Gestalten aus Holz und Elfenbein, mit straffen, verlängerten Brüsten und eigenartigen Gliedmaßen, die durch rote und blaue Farben hervorgehoben wurden. Eine von ihnen, eine Figur aus dem Sudan, saß auf einem Hocker, der von einem Gewimmel kleinerer Gestalten gestützt wurde. Ein dünner, zierlicher Stab reichte von den Genitalien bis zur Halsgrube. Doch das Phantastische an dieser Figur war eher etwas, das sich aus der Fläche erhob, welche der Schoß dieses Ungeheuers bildete. In dem Museum, wo sie die Figur kürzlich gesehen hatte, hatten die Leute dieses Etwas eingehend betrachtet, den Kopf geschüttelt und sich erregt und im Flüsterton darüber unterhalten, ohne den Blick abzuwenden. Ihre Augen waren auf das Ding geheftet gewesen, das von den starren, bemalten Fingern umklammert wurde. Es war bisexuell – Phallus und Lingam zugleich, auch wenn diese Aussage ihm nichts von seinem exotischen Charakter nahm. Um seine Bedeutung zu ergründen, müßte man die gesamte Entwicklung der menschlichen Rasse zurückverfolgen und nicht nur in die mystischen Zeremonien der Primitiven eintauchen, sondern noch weiter zurückgehen, bis zu den wilden Begattungsorgien der Insektenwelt, der Welt der sexuellen Anomalien, der Welt der Lust und der Schrecken, die jenseits des menschlichen Wahrnehmungsvermögens liegt.
     Das waren die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, während sie seinen Worten lauschte. Und seine Gedanken waren weiß Gott auch nicht gerade alltäglich. Sie schienen seinen Worten zu folgen wie ein Fluß, der in einer Schlucht eingezwängt ist. Die festen unnachgiebigen Wände engten den ungestümen Strom ein, der irgendwo weit entfernt in den unzähligen Wurzelverästelungen seiner Seele entsprungen war. Gewiß war es ihre

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