Verschleppt
hatten ihn nicht auf dem Schirm!“, entgegnete Shawn frustriert. „Ich habe aber noch was Interessantes. Martha sprach von einem kleinen Ferienhaus in Tijuana. Aber sie dachte eigentlich, dass es diese Wohnung nicht mehr gibt. Sie waren früher immer dort. Alle zusammen. Noch mit Joshua.“ Saras Herz schlug schneller. Shawn gab ihr die Adresse durch. „Ich bringe Martha dorthin!“, sagte Shawn. Sara nickte. „Beeil dich. Bis gleich.“ Sara gab Cruz den Zettel mit der Adresse und drehte sich um zu Lilly. „Lilly, ruf bitte Verstärkung. Sie sollen sich beeilen.“
Cruz wendete den Wagen und trat aufs Gas. „Es war nicht Harold, der Jason misshandelt hat, es war Patrick! Er ist seit Jahren in Therapie wegen abnormen Verhaltens.“ Saras Stimme war zittrig. Lilly richtete sich auf. „Ich glaub es nicht. Sie waren die ganze Zeit zu zweit! Wir waren so blind. Wieso haben wir Patrick nicht überprüfen lassen?“ Auf diese Frage antwortete niemand. Sie fuhren schweigend den San Diego Freeway lang. „Ich befürchte, dass Patrick und Harold nicht aus den gleichen Zielen gehandelt haben“, setzte Sara an. „Bei Harold war es ausschließlich Rache, bei Patrick war es Rache gepaart mit seinem Trieb.“ Sara malte sich aus, was Noah gerade durchmachen musste. Cruz fuhr Höchstgeschwindigkeit. Da es noch sehr früh war, herrschte kaum Verkehr. Der Asphalt glitzerte auf dem Boden. Sie passierten den Grenzübergang – ohne kontrolliert zu werden. Cruz kannte sich Gott sei Dank gut aus in Tijuana, weil seine Mutter dort lebte. Die Wohnung lag direkt am Strand hinter der Grenze. Die Strecke wirkte unendlich lang. Endlich kamen sie an der besagten Adresse an.
Das Haus lag sehr abgelegen und war völlig heruntergekommen, es musste seit Jahren nicht mehr renoviert worden sein. Vor der Tür stand der graue Pick-up. Sara atmete tief ein, ihre innere Unruhe wurde immer stärker und nahm bald beängstigende Ausmaße an. Sie schaute aus dem Fenster. Die Welt begann langsam im morgendlichen Dämmerlicht Formen anzunehmen. „Matt, du bleibst im Auto.“ Sara schaute Matt ernst an. „Auf gar keinen Fall“, schnaubte er zurück. „Doch. Das ist viel zu gefährlich. Du bist uns mit deiner Schulter keine Hilfe.“ Matt blickte zu seiner Schulter und gab sich einsichtig, er hatte immer noch Schmerzen. „Na gut. Du hast wahrscheinlich recht. Sei bitte vorsichtig.“ Sara nickte. Coop blieb bei Matt im Wagen. Cruz und Lilly waren schon ausgestiegen, Sara schaute ihre beiden Kollegen nacheinander an. Sie atmete durch. Das Haus war klein, eher eine Laube, die Fassade war abgebröckelt, im Vorgarten wucherte das Unkraut. Sara stellte sich vor, wie schön es hier einmal ausgesehen haben musste, als Familie Baker hier glückliche Sommertage verbracht hatte - bis ihnen ein Irrer ihren Joshua nahm. Sie schloss die Augen. Sie konnte das alles noch gar nicht fassen. „Cruz, du gehst hinten rum. Lilly und ich vorne.“ „Willst du nicht warten, bis Verstärkung da ist?!“ fragte Cruz. „Dafür haben wir keine Zeit“, erwiderte Sara ungeduldig. Cruz und Lilly nickten widerwillig. Alle zogen ihre Waffen. Cruz verschwand rechts neben dem Haus, Lilly und Sara gingen zur Haustür. Diese war nur angelehnt, das Schloss hing herunter. Sara gab Lilly ein Zeichen und sie betraten langsam das Haus. Sie versuchten, so leise wie möglich zu sein. Sara hatte Angst vor dem, was sie erwartete.
Kapitel 58
Der Flur war kurz, der Boden kam schon aus den Fugen, alles war dreckig und staubig. Sara musste aufpassen, nicht zu husten. Der Flur führte direkt in den Wohnbereich, Lilly ging langsam vor. Eine kleine Kochnische war links zu finden, von Noah und Patrick keine Spur. Das Wohnzimmer war ebenfalls nicht groß. Ein Holztisch mit vier Stühlen stand in der Mitte, an der Wand hingen etliche Bilder. Alle zeigten eine glückliche Familie Baker. Am Strand, beim Einkaufen, in Disneyland. Immer strahlten sie. Sara blickte zum Tisch. Sofort schoss ihr das Bild in den Kopf, wie Martha, Harold, Joshua und Patrick an dem Tisch saßen und zu Abend aßen. Alle waren fröhlich und lachten. „Sara, reiß dich zusammen“, sie sprach mit sich selbst. Sie musterte den Raum. Rechts ging es zum Garten, ausgefranste Vorhänge hingen an der Tür, die im Wind wehten. Eigentlich waren es nur noch große Fetzenteile. Die langsam aufgehende Sonne drang immer wieder durch und warf Licht in den Raum. Die Tür stand offen. Sara und Lilly sahen sich an, beide nickten. Lilly
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