Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Rest der Sippe hält sich bedeckt. Was willst du von Sinter?«
»Er muss mit Horst Schwerdtfeger einen Deal ausgehandelt haben.«
»Wer ist das noch mal?«
»Das Mordopfer«, erklärte ich geduldig, obwohl ich den Namen schon mehrmals erwähnt hatte. »Der Mann, den Jacek und Marie-Luise angeblich beraubt und gemeinsam um die Ecke gebracht haben.«
»Tatsächlich? Das war doch ein, nun ja, etwas glückloser Geselle, nicht wahr?« Auch das hatte ich ihm vor ein paar Minuten bereits ausführlich erklärt. »Was hat der Mann denn mit Sinters Kanzlei zu tun?«
»Schwerdtfeger war die Jugendsünde von Helmfried Hagen. Helmfried Hagen hat später Waltraud Camerer geheiratet.«
Marquardt stieß einen leisen Pfiff aus. »Mannomann. Wer hätte das gedacht. Denkst du, dass Sinters Reputationsmanagement etwas mit Schwerdtfegers Tod zu tun hat?«
»Vielleicht. Nicht direkt. Schwerdtfeger wusste erst seit kurzem, wer sein Vater war und in welche Familie der hineingeheiratet hat. Es ging um Unterhalt, und der Vater musste für seinen Sohn wohl zähneknirschend das Minimum zahlen.«
»Aber die haben doch Millionen?«
»Angeblich soll sein Vater mit Waltraud Camerer einen Ehevertrag geschlossen haben, der diesen quasi mittellos gemacht hat. Erst als er starb, flossen wohl dreißigtausend Euro. Das ist noch eine unbewiesene Behauptung. Aber woher soll ein arbeitsloser Gelegenheitsarbeiter wie Schwerdtfeger eine für seine Verhältnisse so hohe Summe in bar haben? Kann es sein, dass der Mann übers Ohr gehauen worden ist?«
Marquardt nickte. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Dreißigtausend Euro. Viel Geld für einen armen Schlucker. Verdammt wenig, wenn er den Pflichtteil bekommen hätte. Dann wäre er als Millionär gestorben. Sorry. Man wird zynisch in diesem Beruf, nicht wahr?«
Sein Blick bat um Absolution. Ich schüttelte erwartungsgemäß den Kopf.
»Du doch nicht.«
»Du auch nicht, Vernau. Prost.«
Wir leerten die Flaschen. Bevor Marquardt sich nach der nächsten Ladung bückte, fragte ich mich, ob wir dem Motiv von Schwerdtfegers Mörder gerade einen entscheidenden Schritt näher gekommen waren.
»Ich würde Sinter gerne sprechen.«
»Das wollen viele. Gelingt aber nur wenigen. Was willst du von ihm? Erfahren, wie er den armen Horst im Auftrag der Camerers um die Ecke gebracht hat?«
»Erstens das. Zweitens muss es dafür einen Grund geben. Warum Polen?«
Er öffnete die nächsten beiden Flaschen. »Vielleicht wollte der verleugnete Sohn einmal im Leben die Sau rauslassen. Ein Mädchen?«
»Er hatte es nicht so mit Frauen.«
»Schwul?«
»Nein. Er war gar nichts. Überhaupt nichts. Kein Interesse. So was gibt es. Viele sind damit lange Jahre glücklich verheiratet.«
Mein Gegenüber verschluckte sich an seinem Bier. Als er wieder sprechen konnte, fragte er: »Vielleicht wollte er sein Leben ändern?«
Ich stand auf, ging ans Fenster und sah den Nachbarn auf die Terrasse. In einem aufblasbaren Kinderpool dümpelten Gummienten.
»Horst Schwerdtfeger war ein Loser. Sein Vater hat sich nie zu ihm bekannt. Als die Mutter später heiratet, findet er keinen Anschluss. Zwei Familien, zu denen er eigentlich gehören sollte. Und beide zeigen ihm die kalte Schulter.«
»Der arme Horst.«
Ich drehte mich kurz zu Marquardt um. Der hob entschuldigend die Flasche.
»Zynismusanfall. Sorry. Ich kann nichts dagegen tun.«
»Dann stirbt der kalte, ferne Vater.« Ich legte etwas Melodramatisches in meine Stimme. »Die Camerers hätten die Chance, wenigstens jetzt dem schwächsten ihrer Kinder etwas Gutes zu tun. Stattdessen schicken sie Sinter. Horst geht mit dreißigtausend Euro nach Hause und fährt wenig später nach Polen. Warum? War das sein Lebenstraum? Ich würde als Erstes nach Malle fliegen und es ordentlich krachen lassen. Oder mir ein neues Auto kaufen. Zentnerweise Schokolade. Doch Horst Schwerdtfegers erste Amtshandlung ist, nach Janekpolana zur fahren und sich dort auf einem Friedhof erschlagen zu lassen. Vielleicht waren die dreißigtausend Euro nur die offizielle Wiedergutmachung. Vielleicht gab es noch etwas Inoffizielles. Irgendetwas, das der Alte seinem Sohn auf dem Totenbett ins Ohr geflüstert hat.«
»Name?«
Marquardt nahm vor seinem Computer Haltung an.
»Helmfried Hagen.«
»Ach, Mensch … ja, der Hagen-Zweig. Das sagt mir was. Hab ich schon mal gehört. War so eine Art Handtaschenträger seiner Frau … Waltraud. Waltraud Camerer. Sie ist vor zwei Jahren gestorben.
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