Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Dissertationen geschummelt hatten. Daraufhin unterzog Marquardt seine Arbeit einer eingehenden Prüfung und begann quasi noch einmal von vorne. Wer immer seinen Doktor auf ehrliche Art und Weise gemacht hat, wird wissen, dass es nur wenig gibt, das zeitraubender ist. Und so sah ich beruhigt den Lichtschein in seinem Arbeitszimmer, als ich sein Haus in Zehlendorf erreichte.
Auf mein Klingeln öffnete seine Frau Marion. Sie war seit unserem letzten Treffen noch ein wenig runder geworden, trug aber, der späten Stunde des Tages angemessen, kein knallfarbenes Kostüm, sondern einen samtschwarzen Nicki-Hausanzug.
»Joachim?«, fragte sie. »Ist was passiert?«
»Ich muss kurz mit Sebastian sprechen. Es dauert nicht lange.«
»Hat das nicht bis morgen Zeit? Du weißt doch, er arbeitet.«
»Ich auch, Marion. Darf ich?«
Damit trat ich an ihr vorbei in den bedrückend engen Flur. Das Haus war ein Neubau, man hatte dabei an Familien gedacht und möglichst viele Zimmer auf möglichst engem Raum untergebracht. Das Wohnzimmer war das größte. Es ging direkt in eine amerikanische Küche über, die Marquardt bei seinen gelegentlichen Einladungen gepflegt verwüstete, weil er der Meinung war, ein verhinderter Sternekoch zu sein.
In der Luft lag noch ein Hauch von Grillhähnchen. Offenbar war es an diesem Abend frugaler zugegangen.
»Ist er oben?«, fragte ich.
»Ja. Zieh bitte die Schuhe aus!«, rief sie mir hinterher.
Ich dachte nicht daran. Männer wurden nicht geboren, um beige Auslegware zu schonen.
Ich kannte den Weg. Oben befanden sich Tiffys Zimmer, das Schlafgemach der Eheleute, eine Art Hauswirtschaftsraum, der hin und wieder, räumte man das Bügelbrett in den Schrank, zur Heimreise unfähigen Gästen als Behelfsunterkunft angeboten wurde, und Marquardts Büro. Ich wusste, was er für dieses Haus bezahlt hatte. Zehn Kilometer weiter, in Brandenburg, gab es für das gleiche Geld wunderschöne Anwesen mit großen Gärten und hervorragender S-Bahn-Anbindung (Letzteres nehme ich angesichts der aktuellen Verkehrsinfrastruktur Berlins wieder zurück), sagen wir also, mit einem von Frühjahr bis Herbst funktionierenden Schienenersatzverkehr. Was die armen Menschen im Winter taten, wenn gar nichts klappte, entzog sich meiner Kenntnis.
Aber es musste Zehlendorf sein. Die Hälfte des Gartens ging für die Terrasse drauf, die andere Hälfte für Marions Vorstellung von üppig blühenden Hortensien, die auf engstem Raum zusammengepfercht waren. Das ganze Grundstück hatte knapp sechshundert Quadratmeter. Die Zimmer unterm Dach waren winzig. Marquardts Büro befand sich zudem unter der Schräge. Als ich leise klopfte und die Tür öffnete, tanzte ein Spruch von Cato über den Bildschirm: Verum gaudium res severa est – Wahre Freude ist eine ernste Sache.
Auf seinem Bauch ruhte der achte Band von Das Lied von Eis und Feuer . Er schlief. Vorsichtig nahm ich den Wälzer, markierte die Seite mit einem Bleistift und legte sie auf den Tisch. Marquardt erwachte.
»Guten Abend«, sagte ich. »Deine Sekundärliteratur?«
Dabei kam ich an die Tastatur. Der Cato-Spruch verschwand, stattdessen erschien ein Standbild aus Mad Men .
Marquardt schreckte hoch. »Vernau? Wie viel Uhr …?« Er sah, dass sich vor dem Fenster Dunkelheit ausbreitete.
»Kurz nach elf. Ich bin gerade aus Hamburg zurückgekommen und wollte dich unter vier Augen sprechen.«
»Hätte das nicht Zeit bis morgen gehabt?«
»Ich muss vielleicht heute Nacht schon zurück nach Polen. Ich habe Marie-Luise an einen sicheren Ort gebracht. Sie kann im Moment nicht nach Deutschland einreisen. Gewisse formaljuristische Entscheidungen verhindern das.«
»Was?« Er tastete nach seinem Brillengestell, für das er den Gegenwert eines Einkaräters hingelegt hatte. Behauptete er.
»Haftbefehl.«
»Sch… Was zum Teufel ist passiert?«
Ich brachte ihn, so kurz es ging, auf den aktuellen Stand. Während ich redete, wurde er zunehmend wacher. Als ich auf unsere Flucht zu sprechen kam, pfiff er anerkennend.
»Mann, da wäre ich gerne dabei gewesen. Die wirklich tollen Sachen macht ihr immer ohne mich.«
Es klang, als hätten wir ihn beim Räuber-und-Gendarm-Spielen in eine Pfütze gestoßen. Dabei fing er schon an zu jammern, wenn ich nachts an menschenleeren Kreuzungen bei Dunkelgelb über die Ampel fuhr.
»Keine Ahnung, gegen wie viele polnische Gesetze ich dabei verstoßen habe.«
Er wies auf seine Sammlung Internationales Verfahrensrecht hinter ihm. Der Raum war
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