Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
solche
puttana
genoss nicht den Schutz der Bordelle, sondern war ihrem Zuhälter ausgeliefert, von dem ihr häufig Gewalt drohte, zum Beispiel in Form der
sfregia
– was bedeutete, dass man ihr mit einem Messer das Gesicht zerschnitt – oder
trentuno reale
– einer arrangierten Bandenvergewaltigung, an der bis zu 75 gemietete Schurken teilnahmen.
Studenten auf Bildungsreise scharten sich also nicht allein um die 2645 Pfeiler von San Marco, sie verschwanden auch in eins der vielen Hurenhäuser. Auch für den, der sich dem Glücksspiel widmen wollte, war Venedig ein gelobtes Land, wo fast alles erlaubt und nichts verboten war. Besonders berühmt war das
Ridotto
der Stadt, das große Kasino, wo die Spieler in der Regel Masken trugen. Erik Jönssons ein wenig gewundene Formulierung beschwört Bilder von lärmenden jungen Männern herauf, die in einem kleinen verräucherten Zimmer in einem venezianischen Bordell sitzen und Karten auf den Tisch knallen, danach einen unerwarteten Streit mit ein paar anderen schwankenden Wanderern in einer dunklen Straßenecke an einem Kanal haben, wo ein Austausch von Flüchen in mehreren verschiedenen Sprachen in einem Fuchteln mit blanken Degenklingen endet – und die ganze Zeit ein älterer Kamerad, der um sie herumläuft, bittet, fleht, die Hände ringt und erschreckt zur Seite springt, um einem fehlgerichteten Stoß auszuweichen. Erik hatte einen wenn nicht puritanischen, dann auf jeden Fall asketischen Zug an sich, der aus dem Zusammenwirken seiner einfachen Herkunft mit seinem hart angespannten Karrierestreben entsprungen war. Der feudale Luxus und Prunk, mit dem er in immer engeren Kontakt gekommen war, beeindruckte ihn offensichtlich, aber nicht so sehr als das, was er war, sondern als das, was er darstellte, will sagen als Zeichen des Erfolgs und der gehobenen Stellung. In seinem eigenen Streben nach oben konnte er sich auf nichts anderes verlassen als auf die eigene Begabung und die eigene harte, mühevolle Arbeit; deshalb wohl konnte er sich selbst nicht erlauben, kostbare Zeit auf ein «übles und Ärgernis erregendes Leben» zu verschwenden: Das konnte man möglicherweise tun, wenn man Freiherr war, aber man konnte es sich nicht leisten, wenn man Jönsson hieß und wusste, dass man im Gegensatz zu dem Freiherrn nichts umsonst bekam. Erik vergnügte sich gern, doch die Arbeit und die Studien gingen offenbar vor. Außerdem überschritten die Brüder Cronstierna in ihrem fröhlichen Lotterleben offenbar die Grenze dessen, was Erik für moralisch akzeptabel hielt. «Deshalb suchte ich Gelegenheit, aus ihrer compagnia fortzukommen», schreibt er im Tagebuch. Er beschloss, noch einmal zu versuchen, nach Jerusalem zu reisen. Warum beharrte er auf seinen Pilgerideen? Wahrscheinlich, weil eine derartige Reise, wie die Kunst, ein friedlicher Weg zum Ruhm war, und durch eine solche Handlung sucht er diese frommere und stillere Seite seines Selbst zu verstärken und zu bekräftigen.
Diese neue Pilgerfahrt sollte über Ragusa führen, eine Handelsstadt auf einer felsigen Halbinsel an der dalmatinischen Küste. Die Stadt hatte von alters her gute Verbindungen mit Venedig, befand sich aber seit 130 Jahren unter osmanischer Oberhoheit. Jedes Jahr musste die Stadt dem Sultan ihren Tribut zahlen, der per Karawane nach Konstantinopel ging. Die Karawane bot eine gute und vor allem sichere Transportmöglichkeit über den unruhigen Balkan, und in Venedig gab es immer eine Menge Menschen, die auf ihren Aufbruch warteten: Türken und Juden auf dem Weg nach Konstantinopel, Mönche und Pilger, die weiter nach Jerusalem wollten. Erik schloss sich der letztgenannten Gruppe an.
Mit großem Ernst kleidete er sich als Pilger in eine Tracht aus «schwarzem Leinen, Stab und Hut, dazu ein mit Muscheln besetzter Gürtel und Schuhe und sechs grobe Hemden». So ging er «in des Herren Jesu Namen» an Bord einer Galeere, die Anfang Februar mit Rudern und gutem Wind schnell über das Adriatische Meer fuhr. Bald ging Erik in Trau an der dalmatinischen Küste an Land, um von dort nach Ragusa weiterzureisen, das gut 200 Kilometer Luftlinie entfernt lag. Aber wieder einmal sollten hochpolitische Erschütterungen seine Pläne durchkreuzen und seinen Weg ändern.
Venedig war zwar vom Dreißigjährigen Krieg verschont geblieben, befand sich aber seit 1644 in einem langwierigen Konflikt mit dem Osmanischen Reich, der leider drohte, genauso lang zu werden. Das Ganze drehte sich darum, wer über Venedigs
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