Zweifel in Worten
Alberne Annoncen
Frank sah von dem Bücherstapel auf, der vor ihm auf seinem Arbeitsschreibtisch lag. Neuzugänge für die Stadtbibliothek. Ihm als Lektor oblag es, die Texte zu sichten und zu entscheiden, ob sie in die Kataloge der öffentlichen Bücherei übernommen werden sollten.
Eine schöne Arbeit, die ihm wirklich viel Spaß machte. Außerdem ersparte sie ihm nennenswerten Kundenumgang, den er seit seinem Umzug nach Berlin eindeutig vermied.
Er klappte das Oberste auf und begann die Angaben des Impressums zu studieren, schloss es wieder und sah auf die Rückseite des Einbands. Der Klappentext las sich schon mal gut, dennoch stutzte er. In den neun Monaten, die er nun schon hier arbeitete, war noch nie ein neuer Roman mit homosexuellen Hauptcharakteren hier eingetrudelt. Dieser hier war aber anscheinend einer. Ein schwuler Roman, dem Klappentext nach ein Drama.
Neugierig geworden sah er nun wieder hinein und überflog die ersten Seiten. Spannend!
Er wusste, er hatte freie Hand, was die Einbindung von neuen Büchern in die Bibliothek anging, dennoch wollte er dieses erst komplett lesen. Oftmals gab es erotische, zumeist sehr explizit beschriebene Sexszenen, was in diesem Fall bedeuten würde, dass es zwar letztlich im Katalog landen könnte, aber nur mit eindeutigem Altersnachweis und an über Achtzehnjährige ausgeliehen werden durfte. Eben streng nach Jugendschutzgesetz.
Er beschriftete einen Klebezettel mit ‚komplett lesen, evtl. Ü18 ‘ und heftete ihn auf den Einband, danach schob er das Buch beiseite und widmete sich wieder dem Stapel.
Der Tag ging dahin mit Leseproben, Katalogisierung, Altersempfehlungen und der Weiterleitung der Bücher an seine Kollegin, die sie für die zukünftige Ausleihe vorbereiten würde.
Gegen 14 Uhr verließ er die Bibliothek durch die hellen, lichtdurchfluteten Lesehallen und verabschiedete sich am Eingang bei den Kolleginnen und Kollegen. Da er selbst nicht oder nur bei absolutem Personalengpass hier an der Ausgabe, Information oder Rückgabe saß, hatte er andere Arbeitszeiten. Und wenn er wie heute ein Buch zwecks Durchsicht mit nach Hause nahm, konnte er oftmals auch früher in den Feierabend gehen. Immerhin würde er den heutigen Tag damit verbringen, für seine Arbeit ein über 400 Seiten starkes Buch zu lesen. Niemand fragte ihn danach, wieso er das lieber zu Hause tat, den meisten war es wohl klar, dass man gerade belletristische Texte viel besser in einer gemütlichen Atmosphäre lesen und beurteilen konnte.
Frank schulterte seine Umhängetasche und ging zur U-Bahn-Station.
Zu Hause angekommen startete er zuerst seinen PC, überprüfte gewohnheitsmäßig sein Emailpostfach und fragte sich wie immer, wieso er das noch tat. Mit seinem Umzug, na ja, wohl eher seiner Flucht, hatte er sämtliche alten Kontakte abgebrochen. Sogar seine Handynummer gewechselt. Sein altes Leben lag weit hinter ihm, auch wenn es ihn immer wieder in Alpträumen heimsuchte.
Es kam tatsächlich eine Mail an. Auf einer einzigen Seite für Gays war er mit einem neuen Nicknamen angemeldet und von dort hatte er einen Newsletter erhalten. In diesem stand etwas von einer neuen Aktion, bei der sich einzelne User oder Paare vorstellen konnten, um neue Kontakte zu knüpfen.
Vielleicht sollte er sich nach seiner langen Abstinenz doch mal wieder was zum Vögeln suchen? Irgendwie widerstrebte ihm der Gedanke. Auch wenn er seine alten Kontakte allesamt im realen Leben, in Clubs und Disktheken, aber auch in sehr einschlägigen Parks gefunden hatte, bot das Internet vielleicht doch eine Chance, brauchbare Sexpartner zu finden. Na ja, ein genauerer Blick auf die diversen Angebote konnte jedenfalls nicht schaden, würde ihn vielleicht sogar wieder klarer auf den Pfad der Enthaltsamkeit bringen.
Er rief die Seite der Community auf, loggte ein und überflog die Annoncen. Langweilig, nichtssagend, grammatikalisch unerträglich ...
Ja, es war schon ein Kreuz, nach abgeschlossenem Germanistik- und Literaturwissenschaftsstudium im Internet mit den schriftlichen Auswürfen seiner Artgenossen konfrontiert zu werden ... Oft genug erwischte er sich dabei, selbst die gesprochenen Worte seiner Umgebung im Kopf korrigieren zu wollen. Vielleicht war diese Arroganz auch nicht hilfreich, wenn er nur ein wenig unverbindlichen Spaß suchte?
Aber wenn Frank dem Sprichwort ‚dumm fickt gut‘ Glauben schenken wollte, müsste er sich eingestehen, dass er eine Niete im Bett war ...
Er grinste breit. Das war er ganz
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