Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
der Ärzte beruhte auf akademischen Studien und war in hohem Grad theoretisch. Und der Angriff der Ärzte auf die Hebammen war nur ein kleinerer Teil jener großen Woge, die wir aus der Rückschau als die naturwissenschaftliche Revolution des 17 . Jahrhunderts bezeichnen, in deren Verlauf sich eine exaktere und vor allem stärker mechanistisch geprägte Sicht des Menschen, der Natur und der Welt allmählich Bahn brach.
Es tat sich zweifellos eine ganze Menge in der medizinischen Wissenschaft während dieses Jahrhunderts. Der Engländer William Harvey – der in Padua ausgebildet war und im Verlauf seiner Karriere in England unter anderem den Auftrag hatte, der Hexerei verdächtigte Frauen zu untersuchen – entdeckte den Blutkreislauf; der Italiener Giovanni Alfonso Borelli – ein typischer Polyhistor, der als Arzt für Königin Christina arbeitete, als sie in Rom lebte – bereitete mit seinen Studien der Bewegungen der Tiere den Boden für die moderne Physiologie; der Däne Thomas Bartholin – ein rühriger und intelligenter Mann, der eine Art Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens in seinem Land war – kartierte das Lymphgefäßsystem und versuchte auch, mit Hilfe von Eis und Schnee Lokalbetäubungen durchzuführen. Weitere Entdeckungen der Zeit betrafen die Blutgefäße, die Funktion der Lungen, die Magensäure, die Bakterien, die Optik des Auges und anderes mehr. Auch in der Entbindungskunst tauchten verschiedene Neuerungen auf, wie zum Beispiel von Roonhuysens «Geburtshebel», ein Vorläufer unserer Geburtszange.
In der Realität aber wirkten sich diese Entdeckungen nur für wenige Menschen aus, und noch weniger waren sich ihrer bewusst; im Jahr 1699 litten und starben die Menschen im Großen und Ganzen an den gleichen Krankheiten wie ihre Großeltern im Jahr 1600 . Die Arbeit der medizinischen Pioniere kreiste hauptsächlich um die Erforschung von Körperfunktionen und Krankheiten, um das Sortieren und Benennen; die klinische Anwendung kam erst an zweiter oder dritter Stelle. Zu einer spürbaren Verbesserung der Krankenpflege führte sie also nicht. Und wenn manche weitblickende Ärzte in ihrem Eifer die neu gewonnenen anatomischen Kenntnisse in ihrer praktischen Tätigkeit zur Anwendung bringen wollten, endete dies leicht mit direkten Katastrophen, wie zum Beispiel als man, von Harveys Entdeckung des großen Blutkreislaufs angeregt, in den Jahren nach 1660 mit Injektionen zu experimentieren begann, was meistens zu tödlichen Luftblasen im Blut führte, oder Versuche mit Bluttransfusionen vornahm, was auch nicht so gut endete, weil man nicht zwischen verschiedenen Blutsorten unterschied, sondern munter Übertragungen zwischen Schafen und Menschen vornahm. Ein Umstand, der ebenfalls die praktische Auswirkung dieser medizinischen Fortschritte für das gewöhnliche Volk hemmte, war, dass diese meist außerhalb der Universitäten gemacht wurden; die Universitäten waren in der Regel höchst konservative Bastionen, die gerne am Althergebrachten festhielten und deshalb weiter eine antiquierte Heilkunst lehrten.
Wenn verschiedene Ärzte über die Hebammen murrten und sie des Dilettantismus, des Aberglaubens und mangelnder Kenntnisse in Anatomie bezichtigten, war ihre Kritik indessen keineswegs unberechtigt. Neben den kundigen und verantwortungsbewussten Frauen gab es eine ganze Menge Betrügerinnen, die mehr Schaden anrichteten, als Nutzen bewirkten, indem sie den Gebärenden diverse wirkungslose Hauskuren aufschwatzten, die eine Geburt nur erschwerten und die Schmerzen vermehrten – zum Beispiel der Brauch, der Gebärenden solche Mengen von Essen einzutrichtern, dass diese sich erbrach, alles zu dem Zweck, die Wehen zu verstärken. Aber es ist auch eine Tatsache, dass dies ebenso für die Ärzte zutraf. Neben den tüchtigen Wegbereitern – die in vieler Hinsicht Boden gewannen, indem sie ganz einfach die große Menge von Wissen, die von den Hebammen im Lauf der Jahre angesammelt worden war, siebten, sortierten und systematisierten – gab es auch zahlreiche ungeschickte, unwissende und schlechte Doktoren. Die trockene und konservative Universitätsausbildung hatte ihnen eine Wissenschaftlichkeit mitgegeben, die nicht selten von nahezu homöopathischer Quantität und selbst im günstigsten Fall von Dogmatismus und veralteten Ideen gründlich ausgehöhlt war. Die Zugehörigkeit der Ärzte zur akademischen Welt schenkte diesen ein Selbstvertrauen, das leider genauso groß war wie ihre Inkompetenz. Einen
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