Verwüstung
bloß fünfzig Prozent der Häuser und Geschäfte hatten Schäden davongetragen.
Mehrere hundert Menschen waren obdachlos und fanden Unterschlupf in ein paar einfachen Notunterkünften, die die FEMA aufgestellt hatte. Die FEMA hatte außerdem Ausgabestellen für Essen und Ausrüstungsgegenstände eingerichtet, aber die waren ein Witz. Weil die Medien von den Bereichen, in denen die größten Schäden entstanden waren, ferngehalten wurden, konnte man die Ausgabestelle nur erreichen, nachdem man sich auf Handys, Kameras, Aufnahmegeräte und alles andere hatte durchsuchen lassen, mit dem man dem Rest der Welt die wahren Tatsachen dokumentieren könnte. Immerhin wollte der Gouverneur das bestmögliche Bild in den Medien abgeben, er wollte zeigen, dass er und seine Spießgesellen schnell auf die Krise reagiert hatten, dass Hilfe geleistet wurde.
Der Gouverneur hatte aber in Wahrheit uralte Ausrüstungsgegenstände nach Tango geschickt – das ganze moderne Zeug war im Nahen Osten. Die Laster waren auf der I-75 zusammengebrochen, und die ungeschulten Fahrer hatten keine Ahnung, was zu tun war. Also gab es eben keine Fahrzeuge mit Wasseraufbereitungsanlagen. Alles, was sie bekamen, waren alte Wassertanks und unzeitgemäße Kommunikationseinrichtungen. Plötzlich gab es zwei Versionen der Wirklichkeit, dachte sie, die in den Medien und die, in der sie lebte.
Diebe strichen durch die Straßen. Datenräuber fingen Anrufe bei Versicherungen ab und verlangten Kreditkartennummern, um eine Gebühr von fünfhundert Dollar abzubuchen, damit die Schäden innerhalb von vierundzwanzig Stunden reguliert würden. Recyclingfirmen stahlen Aluminiumverkleidungen von zerstörten Wohnwagen. Plünderer stahlen persönliche Besitztümer aus beschädigten Häusern und Geschäften, die nicht bewacht wurden. Die Nationalgarde sollte eigentlich in den Straßen patrouillieren, um Diebstähle zu verhindern, doch das war der reine Hohn – unausgebildet und schlecht ausgerüstet. Halsabschneider verkauften einen Sack Eis für zehn Dollar, kassierten Tausende, um Bäume abzusägen und von den Grundstücken zu schaffen, und verlangten Vorauszahlungen, um getürkte Versicherungsschäden einzureichen.
In ihrer Nachbarschaft – und in zahllosen anderen auf der Insel – hatten sich die Anwohner zusammengeschlossen, um rund um die Uhr Wache schieben zu können. Schilder waren aufgestellt worden, die klarmachten, dass diese Bezirke von Smith & Wesson beschützt wurden. Insgesamt verfügte ihre Gruppe von zweiunddreißig Personen über zwei Gewehre und acht Handfeuerwaffen.
Offiziell hatte es angeblich fünfzehn Tote gegeben, zumindest berichteten die Medien das. Doch Mira und ihre Nachbarn, aber auch andere ähnliche Gruppen auf der Insel, hatten selbst gezählt – über vierhundert Tote.
Kurz gesagt, das Ergebnis Danielles war nicht so viel anders als das, was auch Tia nach Andrew erlebt hatte. Vertuschen und lügen.
Die Stromleitungen waren noch nicht repariert worden, und obwohl sie einen Generator von einer der FEMA-Ausgabestellen erhalten hatte, nutzte sie ihn nur, wenn es unbedingt notwendig war. Es gab kein Benzin auf der Insel. Die Geldautomaten funktionierten immer noch nicht, die Banken waren geschlossen, und der Supermarkt öffnete zwar ein paar Stunden täglich, verkaufte jedoch nur gegen bar, und ihre Geldbestände nahmen zusehends ab. Vor zwei Abenden hatten sie, Ace, Luke und der Rest ihrer Freunde ihre mageren Vorräte zusammengeworfen, und nun aßen sie gemeinschaftlich.
So viel zum Leben im Paradies.
Als sie gerade wieder hineingehen wollte, sauste ein Fahrrad den Bürgersteig entlang, Ace trat schnell in die Pedale und trug wie immer Kopfhörer. Er hielt, wo das Tor gestanden hatte, sprang vom Rad, wischte sich mit dem T-Shirt über sein schweißnasses Gesicht und schob die Kopfhörer von seinem Kopf, sodass sie um seinen Hals hingen.
Jeden Tag tauchte er etwa um dieselbe Zeit auf, um ihr die neuesten Nachrichten zu überbringen – wer im Krankenhaus war, wo man am besten Essen und andere Sachen kaufte, die neuesten Todeszahlen, wer frische Munition für die Patrouillen hatte und was er sonst noch für interessant und nützlich hielt. Es war weit entfernt von einem normalen Leben, aber weil Normalität das war, wonach sich alle am meisten sehnten, mussten diese neuen Rituale und Gewohnheiten eben als Normalität durchgehen. Aces Ritual hatte am Tag, nachdem er und Luke dafür gesorgt hatten, dass Tia Lopez auf dem Fischerboot
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