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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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vergessen zu haben. Und den Namen. Nur einer von den vielen, die es früher gab. Und die keine Bedeutung mehr hatten.
    »Wir haben uns lang nicht gesehen, Ariane.« Unwillkürlich wunderte sie sich, woher er ihren Namen kannte.
    Ihren richtigen Namen. Hatte sie ihn in der Zwischenzeit getroffen? Im »Glücksstüberl« war er nie gewesen. Sicher nicht.
    Auf der Leopoldstraße hatte sie überlegt, ein Stück Pizza zu kaufen. Aber vor dem Stand des Restaurants, das bis drei Uhr früh geöffnet hatte, warteten Jugendliche aus der Diskothek nebenan. Und so bog sie in die Franz-Joseph-Straße ein. Und vergaß ihren Hunger. Gehen war sowieso besser. Wenn sie stehen blieb, fing sie an nachzudenken. Oder in der Tasche nach dem Adressbuch zu tasten.
    »Komm doch rein!«
    Im Schaufenster eines Modegeschäfts hatte sie ein grünes Faltenkleid betrachtet. Und lange bestaunt. Dann bellte ein Hund.
    Und sie ging weiter. Dann war sie auf einmal in der Kurfürstenstraße. Wäre sie noch ein paar Meter weitergegangen, hätte sie am Elisabethmarkt in ein Taxi steigen und nach Hause fahren können.
    »Du hast Glück, ich bin allein.«
    »Das ist ein Glück«, sagte Ariane.
    »Gehts dir nicht gut?«
    »Mir gehts gut.«
    »Dann trink einen Barbera mit mir.«
    Sie tranken. Ariane saß da. Im Mantel. Und die Wohnung sah aus wie immer. Wie früher!
    »Hast du Hunger?«, fragte der Mann.
    Er trug ein grünes Hemd. Und Ariane musste an das Kleid im Schaufenster denken. Das unbezahlbare Kleid.
    »Ich will dich nicht stören«, sagte sie.
    Binger öffnete den Mund. Er sah sie an. Jede Stelle ihres Gesichts. Ihren Körper. Ihre Beine. Ihre Hände, die im Schoß lagen. Dann trank er einen Schluck. Stellte das kostbare Glas auf einen Hocker.
    Sie saßen sich gegenüber. Ariane in einem antiken Sessel mit hoher Lehne, Binger auf einem Drehstuhl aus hellem Holz, dessen Gewinde leise quietschte. Wie mein Klavierstuhl, dachte sie.
    An der Wand hinter ihm hing ein ungerahmtes abstraktes Gemälde. Ineinander fließende rote Kreise, von schwarzen und blauen Schlieren durchsetzt. Ariane musste an Musik denken.
    Als würde das Bild Töne erzeugen. Und jemand hatte die Lautstärke auf Null gedreht.
    Binger wandte sich um.
    »Ein Radknecht, eines seiner ersten«, sagte er. Und sah wieder Ariane an. »Werden langsam richtig teuer, in der Galerie hängen noch zwei, eins davon hat eine Bank optioniert. Da muss natürlich erst der Vorstand drüber abstimmen.«
    Sein Lächeln erschreckte Ariane. Das war das Lächeln von Männern, die nicht mehr warten wollten. Die sich nur unterhielten, um im Stillen ihren Hass zu sammeln. Ihren Abscheu.
    Ihre Untertänigkeit. Binger war nur noch scheinbar in diesem Zimmer anwesend. In Wirklichkeit kroch er schon vor ihr über den Boden. Und bettelte um Bestrafung.
    Er fasste nach ihrer Hand. Und zerrte sie aus der Wohnung. Im Treppenhaus ging das Licht aus. Sie stolperte. Griff nach dem Geländer. Wollte etwas sagen. Da spürte sie seine Hand an der Schulter. Und hörte sein Keuchen.
    In einer Wohnung einen Stock höher machte er ein blaues Licht an. Dann sperrte er hinter ihr ab.
    Bevor sie sich umsehen konnte, schob er sie in einen kleinen Raum. Ein Metallbett mit einer schwarzen Matratze. Ein Nachttopf. Der Boden mit einer schwarzen Plastikplane ausgelegt.
    Am Bettgestell hingen Riemen. Und Handschellen.
    Dann hörte sie ein Geräusch hinter sich. Erschrocken drehte sie sich um. Im trüben blauen Licht schimmerte Bingers nackter Hintern. Der Maler kniete auf dem Boden. Neben ihm lag ein dünner Stock.
    »Bitte«, flüsterte Binger.
    Sie wollte es nicht. Sie wollte das nicht. Was hatte sie gedacht, was er dachte, wenn sie auf einmal auftauchte? Mitten in der Nacht.
    Sie wollte es trotzdem nicht.
    »Verzeihung«, hörte sie die Stimme flüstern.
    Ihr war kalt. Ihr war übel. Als wäre sie umgeben von Frostlicht und der nackte, hechelnde Mann ein Gewölle ihrer Vergangenheit.
    »Nein«, sagte sie. Und hängte ihre Tasche über die Türklinke.
    Und schleuderte den Mantel weit von sich. Dann nahm sie den Stock in die Hand.
    Im »Blaubart« lief jene Art Musik, die Martin Heuer schon in den Siebzigern gehasst hatte.
    »Noch was?«, fragte Lissi. Sie hatte Bardienst, weil noch immer kein Gast kam.
    Neben Heuer lehnte ein Mann in einem weiten Anzug an der Theke. Und rauchte.
    »Ein Pils«, sagte Heuer. Er war fest entschlossen gewesen, nichts zu trinken. Er hatte auch kein Verlangen danach. Er war mitten in der Arbeit. Er musste sich

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