Verzeihen
1
I ch habe den Mann nicht hereingebeten. Er hat sich nicht abwimmeln lassen. Er war schmutzig. Seine Jacke stank nach Rauch. Ich weiß nicht, was er von mir wollte. Er kam von einer Reise zurück, ich habe ihn nicht danach gefragt. Wir saßen beide auf dem Rücksitz des Taxis. Er setzte sich neben mich ohne zu fragen.
Wenn er mich nicht gezwungen hätte einzusteigen, wäre ich zu Fuß nach Hause gegangen. Das hätte ich geschafft. Es regnete.
Ich habe mir vorgestellt, dass ich nüchtern und wach bin, wenn ich die Wohnungstür aufsperre. Und dass ich mir die Haare föhne und mich dann ins Bett lege und tief schlafe. Stattdessen überredete mich der Mann, mit ihm im Taxi zu fahren.
Ich bin so müde. So viel getrunken und nichts gegessen. Nur dagesessen. Drei Stunden. Vier Stunden. Erst im »Blaubart«, wo Lissi mich fragte, ob ich frei habe. Ja klar, habe ich zu ihr gesagt. Ich mag sie nicht. Sie ist eine Trickserin. Das war sie schon bei Enzo. Mir hat er nie geglaubt. Immer nur ihr. Und sie bildete sich was drauf ein. Wenigstens hat sie mir Champagner ausgegeben, billige Marke. Ich habe drei Gläser getrunken. Und zwei Wodka, die mir Roland spendiert hat. Er arbeitet in einer Walzfabrik, seine Frau ist Kleptomanin. Sagt er. Brille und Vollbart. Ehering trug er keinen. Er hat ihn vor der Tür abgenommen. Was denken solche Männer? Dass wir das persönlich nehmen, wenn sie eine Ehefrau haben? Jetzt habe ich schon wieder »wir« geschrieben. Ich bin nicht mehr wir. Seit dreiundzwanzig Monaten nicht mehr. Nächsten Monat werden es zwei Jahre. Genau zwei Jahre.
Genau zwei Jahre, und ich schreibe immer noch »wir«, verflucht. Immer wieder schreibe ich das. Gestern auch. Ich hasse mich dafür. Ich bin nicht mehr wir. Ich bin nicht mehr ihr! Ich will jetzt nicht schon wieder ausflippen. Ich darf das nicht.
Ich habe mir vorgenommen ruhig zu bleiben. Ich mache mich lächerlich. Nein, das stimmt nicht. Ich mache mich nicht lächerlich. Jetzt fange ich schon wieder zu heulen an. Das ist der Kater, ich werde sentimental, wenn der Alkohol weggeht am nächsten Tag. Das war früher schon so. Da haben mich die anderen gehänselt. Na und? Die haben auch alle ihre Macken.
Jetzt schreibe ich schon wieder von denen. Ich muss über mich schreiben. Nur über mich. Das ist wichtig. Ich weiß nicht, vielleicht mache ich mir bloß was vor. Vielleicht rede ich mir ja nur ein, dass ich, wenn ich etwas aufschreibe, hinterher eine Kraft habe in mir. Wo soll die denn herkommen? Aus den Wörtern? Aber wenn ich nichts aufschreibe, zerreißt es mich.
Zuerst habe ich den Typ gar nicht bemerkt. Er glotzte mich an.
Er hörte nicht mehr auf zu glotzen. Ich hätte ihn gleich wegschicken sollen. Er war aufdringlich, und niemand hat was unternommen. Die haben gedacht, die besoffene Tussi merkt eh nichts. Oder die wollten sehen, ob er mich rumkriegt und abschleppt, der stinkende Kerl.
Hat er nicht geschafft.
Ich frage mich immer noch, wie er in meine Wohnung gekommen ist. Ich muss ihn reingelassen haben. Ich lasse also einen wildfremden Kerl in meine Wohnung und bin auch noch besoffen. Ich bin enthirnt. Und er glotzt ständig meinen Busen an. Das hat er schon in dem Bahnhofsbistro gemacht. Gibts da, wo er herkommt, keine Busen? Oder nur welche aus Silikon? Meiner ist echt. Er hat tatsächlich gesagt, ich soll mich ins Bett legen und er geht dann.
Für wie enthirnt hält der mich?
Parkt seinen Koffer mitten im Flur und legt den Arm um mich.
Habe ich ihm das erlaubt? Ich habe einfach meinen Mantel fallen lassen, und da fiel sein Arm mit runter. Angeber. Vielleicht hat er gewartet, dass ich ihm was anbiete. Solche Typen erwarten ja immer was. Ich habe mich umgedreht und gesagt: Und jetzt? Und er hat nicht gewusst, was er sagen soll. Bei der ersten falschen Bewegung hätte ich die Pistole in der Hand gehabt. Ich war nicht weit von der Schublade weg, wo ich sie aufbewahre. Ich bin schnell. Ich habe das geübt. Blitzschnelle Drehung, Schublade auf, Knarre raus und Feuer. Sie ist geladen. Ich kann sofort abdrücken, wenns gefordert ist. Ich hätte da keine Skrupel.
Nett war, dass er mich gefragt hat, ob ich allein zurechtkomme, wenn er jetzt geht. Das gefiel mir. Er hat das ganz ernst gesagt, ohne blöden Unterton. Ich habe das gehört. Ich erkenne das an der Stimme eines Kerls. Das war nett von ihm, und ich hab es ihm geglaubt. Und es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte gesagt, er kann noch einen Tee trinken, wenn er will.
Auf einmal war es so
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