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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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der Seite zu weichen, und atmeten hörbar auf, als mein Schluchzen leiser wurde und schließlich verebbte. Ich lag da wie ein Stein und wollte einfach nichts mehr denken.
    Erst als Mama mich in Ludwigshafen vor der Schule in die Arme schloss, flossen die Tränen wieder von Neuem. Doch Mama schien sich beinahe darüber zu freuen. Meine Tränen waren für sie eine Art Beweis, dass meine Klassenfahrt genauso dramatisch ausgegangen war wie ihre einstigen Klassenfahrten. Hüttenkoller! Sie hatte nicht die geringste Ahnung, von welcher Dramatik wir hier sprachen. Ich hatte meinen Schutzengel umgebracht. Das hatte wahrscheinlich noch keine Menschenseele vor mir fertiggebracht. Jedenfalls nicht wissentlich.
    Zu Hause verkroch ich mich sofort in mein Zimmer und weinte, bis mein Kopf zu platzen drohte und sich unzählige rote Äderchen in meinen Augen gebildet hatten. Ich sah aus wie ein Zombie. Das passte gut, denn ich fühlte mich mehr tot als lebendig. Ich wollte nicht reden, nicht essen, nicht trinken, nicht fernsehen oder Musik hören, ich hatte nicht einmal Bock, aufs Klo zu gehen, obwohl meine Blase fast platzte.
    Als Mama das dritte Mal ungefragt ins Zimmer stürzte, um mir irgendetwas Unnötiges zu bringen oder zu erzählen, rastete ich aus.
    »Lass mich endlich in Ruhe, Mama! Bitte!«, schrie ich sie an und ihr gekränktes Gesicht brachte mich schon wieder zum Heulen. »Ich will allein sein!«
    Das war die Lüge des Jahrhunderts – doch mit allein meinte ich: keine Menschen. Wächter: ja. Ein ganz bestimmter. Aber keine Menschen.
    »Ich wollte dir nur sagen, dass ich eine gute Nachricht habe«, trötete Mama beleidigt. »Wir fahren dieses Jahr in den Urlaub! Ich habe deinen Papa überredet. Na, ist das nicht was?«
    Ich warf mich nur wimmernd aufs Bett. Urlaub. Was änderte das schon? Was sollte ich ohne Leander im Urlaub? Mama und Papa konnten alleine fahren. Und, oh nein, morgen musste ich auch noch zur Schule … Wie sollte das gehen? Ganz alleine? Ich konnte nicht mehr zur Schule gehen. Das war völlig undenkbar. Ich würde für immer auf diesem Bett liegen bleiben und gar nichts mehr tun.
    Aber dann würde ich früher oder später in die Hosen machen. Und das wollte ich dann lieber doch nicht. Schniefend rappelte ich mich auf, ging ins Bad, pinkelte, putzte mir die Zähne, obwohl es sinnlos war, das zu tun, weil ich sowieso niemanden mehr küssen würde in diesem Leben, niemanden!, schlurfte zurück in mein Zimmer und wickelte die Decke so fest um meinen müde geweinten Körper, als wollte ich mich damit erdrosseln.
    »Bist du sicher, dass ihr nichts fehlt?«, hörte ich Papas Stimme aus dem Flur. »Das kann doch nicht mehr normal sein …«
    »Klassenfahrt, Heribert«, raunte Mama. »Unser Mädchen war auf Klassenfahrt.«
    »Und weiter? Was möchtest du mir damit bedeuten, Rosa?«
    »Sie hat sich unglücklich verliebt. Oder will wieder zurück. Die meisten Mädchen wollen danach erst einmal zurück. Weil alles so neu und toll und aufregend war.«
    »Unsere Luzie ist nicht wie die meisten Mädchen. Das weißt du, Rosa«, erinnerte Papa sie.
    »Na, vielleicht ist sie es jetzt ja doch«, frohlockte Mama, um gleich darauf mitfühlend zu seufzen. »Ach Gottchen, das arme kleine Ding.« Ihre Stimmen wurden leiser. Dann fiel die Wohnungstür ins Schloss und ihre Schritte entfernten sich die Treppe hinunter.
    Ich überlegte, ob ich beten sollte, und faltete testweise die Hände. Ich hatte noch nie freiwillig gebetet, und wenn es einen Gott gab, dann wusste der das nur zu gut. Nein, Beten war albern. Ich musste mich mit dem, was geschehen war, abfinden. Ich musste von nun an für immer mit der Vorstellung leben, dass ich meinen eigenen Wächter auf dem Gewissen hatte. Weil ich Serdan geküsst hatte, um mich abzulenken, hatte Leander sich betrunken und Parkour gemacht. Nein, stopp. Ich hatte Serdan nur geküsst, weil Leander Sofie geküsst hatte. Und Leander hatte Sofie geküsst, weil …
    »Ach, zum Teufel mit dieser ganzen Kacke!«, fluchte ich und drückte mein Gesicht ins Kissen. Ich war jetzt eben allein, wie viele andere Jugendliche auch. Serdan war allein. Seppo war es. Elena. Die kamen auch klar. Ich musste vergessen, dass es Leander gegeben hatte. Ja, ich musste ihn vergessen. Und meinen ersten richtigen Kuss auch.
    Ich starrte blind auf das Fenster, durch das Leander nach seinen allnächtlichen Freiflügen immer zu mir gekommen war, bis die Tränen meine Augen erneut überschwemmten und ich nicht mehr anders

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