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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Supercool
    »Los. Noch zehn.«
    Leander gehorchte, ohne zu murren. Unsere Sit-ups gehörten inzwischen fest zu unserem Abendprogramm. Leander hatte sich an meine Übungseinheiten gewöhnt und ich hatte mich daran gewöhnt, sie nicht mehr alleine, sondern zusammen mit ihm zu machen. Im Gegensatz zu vielen anderen Leander-Dingen, an die ich mich wahrscheinlich niemals gewöhnen würde.
    Doch während der Sit-ups blieb er friedlich. Unauffällig schielte ich zu ihm hinüber. Seine Haltung war mustergültig. Ohne sichtbare Anstrengung zog er sich hoch und glitt geschmeidig zurück. Seine Huskyaugen ließ er geschlossen. Wenn er ausatmete, schimmerten seine Wangenknochen bläulich auf.
    Ich verkniff mir ein Seufzen, als ich meinen Blick von ihm abwandte und mich wieder auf meine Bewegungen konzentrierte. Diese Sit-ups waren einerseits ein heiliges Ritual, andererseits ein Trauerspiel. Denn sie nützten mir nichts mehr. Ich hatte vor anderthalb Jahren eigentlich deshalb angefangen, Sit-ups zu machen, weil ich meine Parkour-Fähigkeiten verbessern wollte. Beim Parkour waren Bauchmuskeln niemals verkehrt. Sie halfen mir, meine Körperspannung zu halten und den Schwung zu bewahren. Aber dann war Leander plötzlich in mein Leben geflattert und hatte mir alles ordentlich vermasselt. Okay, um ehrlich zu sein: Leander und Seppo hatten mir alles vermasselt.
    Leander von Cherubim war mein Exschutzengel. Er selbst nannte sich Wächter und seine Organisation hieß Sky Patrol. Ziemlich dämlicher Name, wie ich fand. Nach meinem missglückten Herbstrun hatte Leander die Nase voll von mir und trat in Streik. Daraufhin wurde er von seiner Truppe – genauer: seinem eigenen Vater – verflucht, bekam versehentlich einen menschlichen Körper und blieb fortan an meiner Seite. Mit diversen Unterbrechungen allerdings.
    Zuerst war Leander derjenige gewesen, der unbedingt wollte, dass ich mit Parkour aufhörte. Doch ausgerechnet Seppo, den ich schon ewig kannte und in den ich verknallt war (zumindest hatte ich das gedacht), hatte meinen Eltern verraten, was ich den ganzen Tag mit den Jungs so trieb. Hauswände erklimmen, über Brüstungen springen, fremde Gebäude stürmen. Dabei war Seppo mein Lehrer gewesen! Er hatte mir all das beigebracht. Und dann verriet er mich – nicht einmal direkt, nein, er hatte heimlich ein Video von mir auf meinem Laptop angespielt und dafür gesorgt, dass meine Mutter das Filmchen entdeckte. Heldin dieses Parkour-Films: ihre eigene Tochter. Hätte Seppo es ihr persönlich gesagt, wäre sie vermutlich dahintergekommen, dass er etwas damit zu tun hatte. Feige war er also auch noch gewesen. Das machte es doppelt schlimm und darüber kam ich immer noch nicht hinweg.
    Seppo hatte sich zwar bei mir entschuldigt, anfangs sogar täglich. Ein Riesentheater hatte er gemacht und dabei so schnulzig und schmalzig dahergeredet, dass mir vom Zuhören fast schlecht wurde. Er führte sich auf, als sei er der tragische Held einer italienischen Oper. Das war sogar Serdan und Billy peinlich und die beteten Seppo geradezu an. Aber geändert hat Seppos Gelaber gar nichts an unserer verzwickten Situation. Die Jungs trauten sich nicht, das zu tun, was Serdan beschlossen hat: unseren Eltern zu sagen, was wir taten, und sie darum zu bitten, es weiterhin machen zu dürfen. Denn nur meine Eltern wussten es. Ich hatte die Jungs nicht verraten. Nicht einmal Seppo. Manchmal bereute ich das. Ich hätte ihn ans Messer liefern sollen. Damit er mindestens so viel Ärger bekommen würde wie ich. Denn meine Mutter ließ mich kaum mehr aus den Augen. Sie hatte sogar ihren Job als Turnlehrerin gekündigt, um mich rund um die Uhr beobachten zu können.
    Aber irgendwie konnte ich Seppo nicht ans Messer liefern. Und jetzt hatten wir seit Wochen kein Parkour mehr gemacht – seitdem mein Ersatzwächter Vitus mich allein gelassen hatte, unser Leichenkeller beinahe abgefackelt war, Leander mich aus den Flammen gerettet und ich ihm im Gegenzug versprochen hatte, ihm menschliche Gefühle beizubringen, damit er bei mir bleiben konnte. Als – na ja, Freund oder Familienmitglied oder so etwas. Und nicht als Wächter.
    Okay – auch ich hatte mein Versprechen nicht eingelöst. Die Jungs trauten sich nicht, ihren Eltern von unserem Sport zu erzählen. Und ich vermied es, mit Leander über Gefühle und den ganzen Kram zu sprechen. Er würde es ja sowieso nicht verstehen. Wächter kannten nämlich keine Gefühle. Für sie waren wir Menschen eine Zusammensetzung aus

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