Viele Mütter heißen Anita
Fenster und sah hinüber zu den Ställen, zu den baufälligen, mühsam abgestützten Schuppen, in denen das knochige Vieh stand. Ein großer, schwerer Mann ging über den Hof und schob eine Karre vor sich her. Pedro, der ältere Sohn, war schon an der Arbeit. Im Kleinviehschuppen girrte die lockende Stimme einer Frau. Das ist Elvira, Pedros Frau, dachte Anita und ging zum Herd zurück. Das Wasser war schon heiß und dampfte.
Der Morgen ging auf wie alle Morgen über der Sierra Morena. Erst war es ein fahler, streifiger Himmel, dann brach urplötzlich die Sonne durch, und man wußte, daß es August war, denn sie brannte und versengte die Felder. Die Sonne! Diese unbarmherzige Sonne! Und dann kamen die Winde, rauh für einen Sommer, und bliesen die Körner aus den Ähren. Und der Bauer stand hilflos dabei und konnte nichts als beten … bitten um einen Segen des Himmels, daß ihm eine Handvoll blieb, sich zu nähren.
Die Sonne von Castilla. Anita Torrico seufzte ein wenig und hob mit zitternden Händen und keuchendem Atem den schweren Kessel mit dem kochenden Wasser vom Herd. Langsamen Schrittes trug sie ihn zu dem Futtertrog, schüttete das Wasser hinein und rührte eine Art Kleie für die Schweine zurecht, die draußen auf den verdorrten Feldern verhungern mußten. Schreiend kamen sie von den Wiesen zurück und drängten sich um das Haus. Oh, es war ein schweres Jahr … schwer wie die meisten Jahre für die Bauern um den kleinen Ort Solana del Pino, die weite Strecken bis zu dem Fluß Montoro fuhren, Wagen hinter Wagen, Faß hinter Faß, und aus den Wellen das Wasser für ihre Felder schöpften … das brackige, schmutzige Wasser, wenn der Fluß, fast ausgetrocknet, nur noch eine schmale Rinne war.
Mit einer großen, selbstgeschnitzten Holzkelle rührte Anita den Brei um. Hinter ihr, hinter der Bohlentür, hörte sie ein Gähnen und das Knistern des Strohsackes. Das war Juan … endlich war er aufgewacht. Immer, wenn die Arbeit schon halb getan war, knisterte sein Strohsack, und er kam heraus, verschlafen, mit wirren schwarzen, langen Haaren, zart, feingliedrig, fast ein Mädchen, so ganz anders als sein Bruder Pedro, der wie ein Baum war, ganz wie der Vater, den ein Baum vor zehn Jahren bei einem Blitzschlag zerquetschte.
»Schon wach?« sagte Anita, während sie weiterrührte und sich nicht umwandte, als die Tür knarrte. »Dein Bruder mistet schon den Stall!«
Juan Torrico gähnte. Er reckte den schmalen Körper und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Sein Mund war hübsch, die Lippen hatten den Schwung eines weiblichen Mundes, und seine langen Finger waren dünn und zart, als könnten sie nie das Seil eines Pferdes oder den Bolzen eines Pfluges halten.
»Ich habe so schön geträumt«, sagte er leise und ging zur Mutter hin und umarmte sie von hinten und küßte ihre grauen Haare. »Ich habe geträumt, daß ich in Madrid wäre, in der großen, schönen Stadt. Und man hatte in einem großen Saale viele Standbilder aufgestellt, und unter jedem stand ein Name: Juan Torrico. Da habe ich gelacht und war so glücklich, Mutter …«
Anita seufzte. Sie gab ihm keine Antwort, denn sie konnte ihm nicht sagen, was sie dachte. Sie war stolz … darf man das einem Jungen sagen, einem neunzehn Jahre alten Lümmel, der lieber träumte und auf den Hügeln der Santa Madrona liegt, hinaufstiert in die weißen Wolken am blauen Himmel und heimlich aus farblosem Sandstein wunderliche Figuren hämmert, anstatt im Stall zu stehen oder über die Felder zu gehen, mit der Sonne um die Frucht zu ringen und hinab zum Rio Montoro zu fahren? Er war ihre ganze Sorge, dieser junge, hübsche Juan, in dessen schmalem Gesicht sie sich widerspiegelte, aus dessen zarten Gliedern ihr Ebenbild wiederkehrte – die kleine, hübsche Anita Segura, die vor dreißig Jahren der starke Bauer Pedro Torrico aus Conquista mit sich nahm in sein Haus. Wie Juan hatte sie als Mädchen das Lied und den Tanz mehr geliebt als die Härte des Lebens, und sie war im Leben doch zu einer guten Bäuerin geworden, sie hatte drei Kinder geboren und aus der Hütte des Pedro Torrico ein Haus gemacht, das das beste im ganzen Umkreis war. Sie hatte die Hungerjahre erträglich gemacht, sie war zu Fuß drei Tagesreisen weit nach Mestanza gewandert, um auf dem Markt der Stadt die kärglichen Früchte anzubieten, die Pedro mit einem Schluchzen von den verdorrten Bäumen holte. Drei Tage hin und drei Tage zurück … und dann hatte man ein wenig Silbergeld, mit dem das
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