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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Prolog
    Die kleine Maschine flog durch ein Gewitter, wurde hin und
her geschlagen von Böen, sackte in Luftlöcher und schien nur mit Mühe
voranzukommen durch das immer wieder von Blitzen erleuchtete Dunkelgrau.
Michael war froh, nichts weiter im Magen zu haben als einen Espresso und ein
Stückchen Pansecco, das würde im Ernstfall (noch zwei Luftlöcher mehr) in den
Pappbecher passen, den man im Gepäcknetz am Sitz vor ihm beim Putzen übersehen
hatte.
    Der Platz neben ihm war leer, und die Stewardess saß zum Landeanflug
angeschnallt hinten, also konnte niemand Michaels weißes Gesicht und seine um
die Sitzlehnen gekrampften Hände sehen. Nicht, dass ihm das besonders peinlich
gewesen wäre, aber den besorgten Blick einer Stewardess wollte er jetzt nicht
auf sich ziehen. Auch wenn die Uniformen nicht mehr so flott und streng und
dunkelblau wie in den Siebzigerjahren waren und die Frisuren nicht mehr im
damaligen Einheitslook nach hinten gebunden und von Spangen oder Knoten
gezähmt, der Anblick einer Stewardess beschwor ihm noch immer zuverlässig den
Anblick seiner Mutter herauf. Und dieser Anblick tat noch immer weh.
    Nicht mehr wie damals natürlich, nicht mehr wie ein Medizinball,
sondern eher wie eine hart geworfene Murmel auf dem Solarplexus, aber dennoch,
es blieb ein Reflex, den er in sechsunddreißig Jahren nicht losgeworden war: Er
sah das im Haar festgesteckte blaue Käppi, die grauen Augen und roch den
Vanilleduft seiner Mutter, als sie sich über ihn beugte, mit der Hand über
seine fiebrige Stirn strich und sagte: »Papa passt auf dich auf, ich bin
übermorgen wieder da. Werd schnell gesund, mein kleiner Schwan.« Und dann hupte
unten auf der Straße der Wagen, der sie abholte und zum Flughafen brachte, wo
sie den Jumbojet mit der Flugnummer 540 bestieg, der acht Stunden später in
Nairobi zwischenlanden und kurz nach dem Start wieder auf den Boden aufschlagen
und explodieren würde.
    Die Böen ließen nach, je tiefer die Maschine sank. Als die Landebahn
in Sicht kam, ging alles wieder glatt, der Spuk war vorbei, vom Aufsetzen der
Räder fast nichts zu spüren, und mit dem Langsamerwerden des Flugzeugs änderten
die Regenschlieren am Fenster ihren Lauf von fast waagerecht zu schließlich senkrecht.
Nur Michaels Fingerknöchel waren immer noch weiß wie das Innere von Radieschen.
    Den Blick der Stewardess mied er, als er an ihr vorbeikam, er sagte
Arrivederci zum hellgrünen Teppichboden und tat so, als müsse er seine Hose
nach unten zupfen. Auf dem Weg zum Mietwagenschalter kam ihm zu Bewusstsein,
dass er ja aus Süden angeflogen war und jetzt wieder nach Süden fahren musste –
er würde dasselbe Gewitter noch mal abkriegen. Diesmal von oben. Mit festem
Boden unter sich. Aber wohl erst in einer halben Stunde oder später – hier am
Flughafen Franz-Josef-Strauß regnete es nur noch Bindfäden. Das Dunkelgrau
wartete weiter südlich auf ihn.
    Als der Kunde vor ihm die Autoschlüssel an sich nahm, sah Michael
sich in der Halle um, ob er vielleicht einen seiner Freunde von damals
entdecken würde. Wenn sie nicht mehr in München oder in der Nähe lebten,
konnten sie auch geflogen sein und müssten, wenn sie pünktlich zur Beerdigung
kommen wollten, jetzt oder in den nächsten Minuten zu einem der Mietwagenstände
oder den Taxis eilen. Es war kurz vor zehn. Die Feier sollte um elf anfangen.
Höchste Zeit.
    ~
    Als er endlich die Autobahn nach Salzburg erreicht hatte,
war es schon nach halb elf. Von Thomas, Bernd oder Wagner hatte er nichts
gesehen, das wäre wohl auch zu viel Zufall gewesen. Er näherte sich dem Dunkelgrau,
aber als die Tropfen auf seiner Windschutzscheibe zahlreicher wurden, war er
längst wieder von der Autobahn abgebogen und fuhr auf ein Wäldchen zu, und erst
als er dieses erreicht hatte, ging es richtig los.
    Ob seine Fingerknöchel schon wieder weiß waren, interessierte
Michael jetzt nicht, er hatte beide Hände am Steuer und konzentrierte sich auf
das bisschen, was er sah. Der Wagen, hässlich, aber handlich, wühlte sich durch
den Regen, die überforderten Scheibenwischer schlugen hektisch hin und her,
ohne Chance, den stetigen, schlierigen Strom für länger als den Bruchteil eines
Augenblicks von der Frontscheibe zu werfen. Ihr schnelles, dumpfes Klopfen
zerrte an Michaels Nerven, es klang, als prügle sich der Wagen durch einen
wütenden

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