Voll daneben
dass er am Küchentisch arbeiten muss, macht ihn sicher wütend.
Unsicher bleibe ich im Türrahmen stehen und atme tief ein, um mich zu beruhigen. Mom steht am Herd. Sie brät Tofu mit Rührei. Auf der neuen Marmorplatte, die sie letzte Woche hat einbauen lassen, um die Chromplatte zu ersetzen, die auch erst sechs Monate alt war, steht ein Teller mit Speckersatz.
»Dad«, sage ich mit brüchiger Stimme.
Dad blickt nicht auf. Er trägt etwas in eine Akte ein und tippt Zahlen in einen Taschenrechner.
»Das – äh – das mit gestern Abend tut mir wirklich leid. Ehrlich. Es war dumm von mir, und ich weiß, du sagst, dass ich immer die falschen Entscheidungen treffe, und du hast auch vollkommenrecht, das tu ich auch, aber ... Ich hab das nicht gemacht, um dich zu ärgern.«
Ich warte, aber mein Vater reagiert nicht. Mom konzentriert sich auf den Tofu.
»Könnten wir nicht darüber reden?«
Keine Antwort.
»Ich weiß, dass du sauer bist, und du hast auch das Recht, sauer auf mich zu sein, aber hältst du es nicht für ein bisschen krass, mich eine Woche vor Anfang meines letzten Schuljahrs rauszuwerfen?«
Der Tofu brutzelt so laut in der Pfanne, dass das Geräusch die ganze Küche ausfüllt, und mir wird schlecht von dem Geruch. Mom sticht mit dem Pfannenwender auf ihn ein.
»Mom?«, frage ich Hilfe suchend, aber sie kocht weiter. Ich bemerke, dass sie die Frühstücksteller so nahe am Rand der Küchenplatte abgestellt hat, dass sie fast herunterfallen. Zwei Teller, nicht drei. Mich packt das Verlangen, die Hand auszustrecken und sie von der Kante zu stoßen. Und zuzusehen, wie das teure Porzellan in tausend Stücke zerspringt.
Der Tofu brutzelt weiter, und obwohl sie weiterhin auf ihn einsticht, fängt er an zu verbrennen.
Dad tippt mit solcher Regelmäßigkeit Zahlen ein, dass das Klicken herzlos klingt.
» Dad «, wiederhole ich, und diesmal liegt Schärfe in meiner Stimme. Da dreht Mom sich um, und es ist so, als wäre das Porzellan zerschlagen.
»Geh«, sagt sie und klatscht den Pfannenwender auf den Herd. »Er will dich hier nicht haben.«
Sobald sie es ausgesprochen hat, verzerrt sich ihr Gesicht, und daher weiß ich, dass sie es nicht so gemeint hat. Aber es ist schon zu spät.
Ich verlasse die Küche und komme nicht mehr wieder.
5
ICH WÄHLE PETES NUMMER und schließe die Augen.
» Vermassle es bloß nicht «, flüstere ich mir zu. » Vermassle es nicht .«
Es muss eine Handynummer sein, denn der Rufton klingt komisch – wie eine kreischende Gitarre –, und fast hätte ich aufgelegt, aber dann nimmt jemand ab.
»R-hallo?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung ist die Art von tiefer, rauer Stimme, wie die Transvestiten in Filmen sie immer haben. Ich frage mich, ob so eine Stimme eine Bedingung für die Rolle ist oder so was.
»Hallo, Tante Pete?«, sage ich und denke sofort: Oh, Shit . Ich glaub’s einfach nicht. Nach nur eins Komma zwei Sekunden geht das Gespräch voll daneben.
»Taaaooonkel Pete? Ich bin’s. Liam.«
Langes Schweigen am anderen Ende.
»Ach ja – Liam.«
Das klang aber nicht nach ›Er freut sich riesig‹.
»Ja, Mom hat gesagt, sie hätte dich angerufen und ich könnte ein paar Monate bei dir wohnen.«
Am anderen Ende der Leitung ertönt ein gequältes Würgen. Seine Antwort klingt gepresst.
»Monate?! Deine Mutter hat von ›Wochen‹ gesprochen. Ein paar Wochen. Höchstens zwei oder drei . Nur bis mein Bruder seinen Koller überwunden hat.«
Typisch. Mom macht alles immer nur halbherzig. Vielleicht hat sie optimistisch gedacht, Dad würde es sich anders überlegen, aber das bezweifle ich. Einen Moment lang bin ich sauer, aber dann fällt mir wieder ein, dass sie mich vor meinen Großeltern gerettet hat.
»Sagte ich Monate? Ich meinte natürlich Wochen.« Ich überlege, ob ich versuchen soll, Monate wie Wochen auszusprechen, lasse es dann aber lieber. Tante Pete schweigt lange.
»Weiß dein Vater eigentlich davon?«, fragt er dann, und ich weiß sofort, dass ich mich jetzt entscheiden muss. Entweder zeige ich Charakter und sage die Wahrheit, oder ich schwindle einfach weiter wie Mom.
»Ja«, schwindle ich. »Er weiß es.«
»Und er ist einverstanden? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Dein Vater und ich reden schon lange nicht mehr miteinander.«
»Na ja«, sage ich, um Zeit zu schinden und mir die Einzelheiten auszudenken, »er wollte eigentlich, dass ich bei euren Eltern wohne (die Wahrheit), aber die haben Nein gesagt (okay, das war eine
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