Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
ich würde ihm alles zurückzahlen, wenn ich eines Tages so weit wäre. Jetzt brauchte ich nur noch eine Lehrstelle. Ich war zwar ein guter Schüler geworden und konnte lesen und schreiben, ein persönliches Gespräch aber schien mir immer noch erfolgversprechender als ein Bewerbungsschreiben. Laut reden und dabei überzeugend auftreten gehörte neuerdings zu meinen Stärken. Ein Talent, das ich meinem Sport und dem dort gewonnenen Selbstbewusstsein verdankte.
Es gab den Malerbetrieb Pflüger in Pforzheim, an dem ich schon ein paar Mal vorbeigelaufen war. Dort wollte ich arbeiten. Ich rannte hinein, stellte mich vor und sagte sofort, dassich hier gerne als Malerlehrling anfangen würde, am besten gleich. Ich habe später in meinem Leben oft festgestellt, dass ein paar gerade und ehrliche Sätze von der Leber weg eine bessere Wirkung haben können als salbungsvolles Palaver. Diese von Herzen kommenden Sätze ließen mich später so manches Mal bei Rededuellen mit Politikern in Talkshows oder bei Wahlkampfveranstaltungen als Sieger aus dem Ring klettern. Punktsieger Hück.
Selbst einen Staatsanwalt habe ich allein durch meine offene Art überzeugen können. Er wollte mich ins Gefängnis stecken, es ging um eine Körperverletzung. Das Amtsdeutsch klingt immer so hart und unnachgiebig für das, was da bei einer kleinen Schlägerei wirklich passiert ist. Ich sollte also ins Gefängnis und darüber wollte ich mit dem Staatsanwalt sprechen. »Warum wollen Sie mich in den Knast schicken?«, fragte ich ihn. »Weil du jemanden umgehauen hast«, antwortete der Herr. »Der andere hat aber auch zugeschlagen – und wie«, versuchte ich den Hergang des Geschehens zu meinen Gunsten zu drehen. »Und was soll ich jetzt mit dir machen? Bist du mit einer Bewährungsstrafe einverstanden?« Das schien mir ein faires Angebot zu sein. »Na klar, was soll ich sonst machen?« Die Sache endete also glimpflich für mich, weil ich das Gespräch gesucht hatte. Oft habe ich in meinem Leben von der Überzeugungskraft meines Vortrags profitiert. Auch die Witwe Pflüger vom Malergeschäft muss ich vom ersten Moment an beeindruckt haben mit meinem entschlossenen Auftreten. Ich bekam meine erste Lehrstelle, ich war frei, endlich! Es wurde eine gute Lehre. Ich lernte das Gefühl kennen, gebraucht zu werden. Mein Selbstwertgefühl, das im Heim fast zerstört worden war, wurde durch die tägliche Arbeit stärker. Maler und Lackierer – ich war stolz auf meinen Beruf und nahm mir vor, diese Ausbildung so schnell wiemöglich durchzuziehen. Die andere Zeit widmete ich meinem Sport, jede freie Minute, jeden Tag. Ich hatte Gefallen gefunden an Kampfsportarten, denn dort war ich der Chef, alleinverantwortlich für mein Handeln. Ich konnte frei entscheiden und musste mich nicht anderen Mitspielern unterordnen. Anders als bei den Ballsportarten, deren Faszination ich zwar teilte, bei denen ich aber weniger Talent erkennen ließ. Das Bild vom Boxer im Ring, alleine auf sich gestellt, passte besser zu mir als das vom Fußballspieler, der die Bälle abgeben und seine Erfolge immer durch elf teilen muss. Außerdem wollte ich mit meinem Sport Geld verdienen und das schien mir beim Fußball nicht so leicht realisierbar zu sein.
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Uwe Hück bei einer Versammlung
Ich lernte die Grundtugenden asiatischer Kampfsportarten kennen. Feste Regeln, an die sich jeder bedingungslos zu halten hatte. Anders als früher aber wollte ich mich jetzt diesen Regeln unterwerfen, denn ich konnte ihren Sinn verstehen. Beim Taekwondo verinnerlichst du mit fortschreitender Praxis Tugenden wie Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen,Selbstdisziplin und Unbesiegbarkeit. Du lernst, Konzentration, Schnelligkeit, Ausgeglichenheit und Masse in einen Einklang zu bringen; du beginnst, deine Atmung zu kontrollieren. Ich profitierte von allem, was ich lernte zu dieser Zeit, doch die richtige Sportart suchte ich noch. Ich hätte in Pforzheim viele Möglichkeiten gehabt, in der Stadt rannten ein paar damals schon bekanntere Boxer herum. René Weller, fast zehn Jahre älter als ich, war damals schon Europameister und deutschlandweit eine große Nummer als »der schöne René«. Beim SC Pforzheim kämpfte damals auch Markus Bott, der es 1984 immerhin nach Los Angeles zu den Olympischen Spielen schaffte.
Eines Tages lernte ich einen Thaiboxer kennen. Rückblickend kann ich sagen, dass es immer bestimmte Menschen waren, deren plötzlicher Eintritt in mein Leben eine
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