Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
entscheidende Richtungsänderung brachte. Jean-François war Vize-Weltmeister und die ungeheure Wucht und Dynamik seines Kampfstils imponierte mir sofort. Er erkannte wohl mein Talent, sah aber auch, dass es mir an technischer Ausbildung fehlte. Diese traditionelle thailändische Nationalsportart erfordert ein hohes Maß an Technik. Wenn die alten Krieger keine Schwerter oder Speere mehr hatten, mussten Beine, Fäuste und Ellbogen eingesetzt werden. Jean-François eröffnete mir diese Welt des Kampfsports, die nicht auf die Fäuste beschränkt bleib. Das war genau mein Ding! Ich fing an zu trainieren wie ein Wahnsinniger, ich war besessen von meinem neuen Sport. Ich lernte schnell, ich brannte, ich lechzte nach Erfolg.
Jean-François blieb mein ungeheurer Wille nicht verborgen und irgendwann fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne, mit Thaiboxen Geld zu verdienen. Meine Lehrzeit näherte sich ihrem Ende, als mich die Chefin des Malerbetriebszu sich rief. Es sollte ein perspektivisches Gespräch werden und die Witwe Pflüger machte mir schließlich das Angebot, als Meister dem Betrieb erhalten zu bleiben. Ich, der ehemalige Sonderschüler, das aufsässige Heimkind, sollte Meister werden! Ich lehnte ab. Ich habe mir die Entscheidung damals nicht leicht gemacht, doch meine Karriere als Thaiboxer lief gerade an und lockte mich noch mehr. Ich war 18 und wollte noch so viel erreichen.
Nach meiner Lehre hielt ich es für angebracht, einen weiteren Betrieb kennenzulernen. Ich fand eine Halbtagsstelle im Malergeschäft Horst Zimmer. Auch hier hätte mich der Meister gerne länger beschäftigt, doch meine Karriere als Thaiboxer lief bereits auf voller Drehzahl. Mir war es wichtiger, den Rest des Tages trainieren zu können, das fehlende Geld würde ich schon irgendwie verdienen. Die ersten Kämpfe liefen gut, ich wurde von ernsthafteren Verletzungen verschont, jetzt wollte ich Titel! Immer öfter profitierte ich von den Erfahrungen meiner Zeit im Heim. Wo mir die Technik fehlte, einen Kampf zu entscheiden, musste ich Geduld haben, und den Gegner in kleinen Schritten zermürben. Wie früher, wenn sie mich eingesperrt haben. Wenn sie gedacht haben, zwei Tage Einzelhaft hätten mich zur Vernunft gebracht. Im Ring war ich bald so weit, einen überlegenen Gegner verzweifeln zu lassen. Zehn, zwölf, dreizehn Treffer hatte er bereits gelandet und noch immer schien ich unbeeindruckt. Ich lernte, den Schmerz zu beherrschen und keine Reaktion zu zeigen, so hart mich die Schläge und Tritte auch erwischten. Irgendwann begann mein Gegner, an der Wirkung seiner Schläge und damit auch an sich zu zweifeln. Im Fachjargon spricht man von Nehmerqualitäten, etwas einfacher ausgedrückt sage ich heute, dass ich eine Menge einstecken konnte. Meine Gegner waren jetzt gezwungen, nachzudenken,was sie falsch machten und das war oft ihr entscheidender Fehler. Wenn du beim Fußball als Stürmer vor dem Tor stehst, darfst du nicht überlegen, ob der Ball reingehen wird. Ein zweifelnder Stürmer wird eher eine Kerze schießen als das leere Tor zu treffen. So ist das beim Thaiboxen auch. Ich konnte die Augen meiner Gegner sehen und ihre fragenden Blicke, was da wohl gerade passiert im Ring. In dem Moment hatte ich so gut wie gewonnen. Mit dieser Erkenntnis, von dieser psychologischen Sicherheit beflügelt, konnte ich anfangen, meine Technik weiter zu entwickeln. Manchmal hatte ich das Gefühl, wir wären nicht mehr aufzuhalten. Meine Trainingspartner und ich wirkten gnadenlos siegorientiert, wir wollten gewinnen, jeden Kampf ! Wenn du als Sportler so weit gekommen bist, wenn du es geschafft hast und keine Grenzen mehr fühlst, wartet aber schon die nächste Gefahr auf dich. Du darfst nicht in Selbstgefälligkeit verfallen, schon das erste Anzeichen von Überheblichkeit kann dein Ende bedeuten. Du darfst die Regeln nicht vergessen. Du musst den Unterschied zwischen Gegner besiegen und Gegner vernichten verinnerlichen, du darfst den Respekt vor dem anderen Sportler nie verlieren. Mir wurde das besonders klar, als ich gegen einen Franzosen kämpfen musste. Wir kannten uns nicht, sahen uns das erste Mal überhaupt, als wir uns im Ring gegenüber standen. Das ist der Moment, in dem du versuchst, dem anderen ein möglichst ernstes, furchteinflößendes Gesicht zu zeigen. Schon beim Kennenlernen musst du dir Respekt verschaffen. Wir standen da, zerfleischten uns quasi mit unseren Blicken, dann begann ein mörderisch harter Kampf. Außenstehende würden
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