Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
sie es sicher schon wieder vergessen.
Zwanzig Minuten später biegen sie in die schmale Straße zum Hintereingang des Bezirksgefängnisses ab. Hier geht niemand durch die Vordertür, am allerwenigsten ein Wandler. Ein Flügel des Bezirksgefängnisses ist für Jugendliche reserviert, und ganz hinten steht ein spezieller Container, in dem die transportbereiten Wandler untergebracht werden. Starkey war oft genug im Jugendknast, um zu wissen, dass es aus diesem Haftraum kein Entkommen gibt. Das war’s. Ende der Geschichte. Nicht mal im Todestrakt sind die Sicherheitsvorkehrungen so streng.
Aber noch ist er nicht da drin. Noch sitzt er im Auto und wartet. Hier ist der Rumpf ihres kleinen Narrenschiffs am dünnsten, und wenn er ihre Pläne durchkreuzen will, muss er das zwischen Auto und Hintertür des Gefängnisses tun. Während die JuPos seinen erniedrigenden Gang in den Knast vorbereiten, überlegt er, wie hoch seine Chancen stehen, dass er abhauen kann. Nicht nur seine Eltern haben sich den Ablauf dieser Nacht vorher ausgemalt, sondern auch er, und er hat ein Dutzend heldenhafter Fluchtpläne ausgearbeitet. Das Problem ist nur, dass sogar seine Tagträume fatalistisch sind; immer überwiegt die Angst, immer verliert er, wird betäubt und wacht auf dem OP-Tisch wieder auf. Klar, es heißt, dass man nicht sofort umgewandelt wird, aber Starkey glaubt das nicht. Niemand weiß, was in den Ernte-Camps genau abläuft, und diejenigen, die es erfahren, können es nicht mehr erzählen.
Die beiden JuPos kommen zurück, zerren ihn aus dem Auto, nehmen ihn in die Mitte und packen ihn fest an den Oberarmen. Darin haben sie Übung. Lady-Lips hält immer noch Starkeys dicke Akte in der Hand.
»Und?«, fragt Starkey. »Stehen da auch meine Hobbys drin?«
»Wahrscheinlich«, erwidert Lady-Lips gleichgültig.
»Vielleicht hätten Sie ein bisschen genauer lesen sollen, dann hätten wir jetzt ein Gesprächsthema.« Starkey grinst. »Wissen Sie, ich kann nämlich ziemlich gut zaubern.«
»Ach ja?« Großmaul grinst schief. »Zu schade, dass du dich nicht verschwinden lassen kannst.«
»Wer sagt, dass ich das nicht kann?«
Dann hebt er, theatralisch wie Houdini, die rechte Hand. Die Handschelle baumelt an seiner Linken. Ehe sie überhaupt reagieren können, holt Starkey das Taschenmesser aus dem Ärmel, mit dem er das Schloss geknackt hat, und zieht es Lady-Lips quer übers Gesicht.
Der Mann schreit und aus einer zehn Zentimeter langen Wunde strömt Blut. Großmaul ist sprachlos, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem jämmerlichen Leben im Dienste von Unrecht und Unordnung. Er will die Waffe ziehen, doch Starkey ist schon losgerannt und verschwindet in der dunklen Gasse.
»He!«, brüllt Großmaul. »Du machst alles nur noch schlimmer!«
Was wollen sie denn schon machen? Soll er noch einen Anschiss kriegen, ehe sie ihn umwandeln? Großmaul kann reden, was er will – gute Argumente hat er nicht auf seiner Seite.
Die Gasse windet sich mal nach links, mal nach rechts, wie in einem Labyrinth. Links neben Starkey rast die hohe imposante Backsteinwand des Bezirksgefängnisses vorbei.
Als der Weg wieder einen Knick macht, sieht Starkey vor sich eine Straße. Er stürmt darauf zu, doch an der Kreuzung packt Großmaul ihn am Kragen. Irgendwie hat er es geschafft, vor Starkey dort zu sein. Ist ja klar, wahrscheinlich unternimmt jeder Wandler einen Fluchtversuch. Vielleicht wurde die Gasse sogar so verwinkelt angelegt, damit Flüchtlinge Zeit verlieren und die JuPos sie noch einholen können.
»Das war’s, Starkey!« Großmaul packt ihn am Handgelenk, entreißt ihm das Messer und zieht seine Waffe. Er ist drauf und dran zu schießen, das sieht man ihm an. »Auf den Boden oder du bekommst das hier zu spüren!«
Aber Starkey legt sich nicht hin. Er wird sich vor diesem Gesetzesgangster nicht erniedrigen.
»Na los!«, sagt Starkey. »Schießen Sie doch, und erklären Sie denen im Ernte-Camp, warum Sie die Ware beschädigt haben.«
Großmaul dreht ihm den Arm auf den Rücken und stößt ihn mit dem Gesicht gegen die Backsteinwand.
»Ich habe die Nase voll von dir, Starkey. Oder vielleicht sollte ich dich besser Storchy nennen.« Er lacht, weil er das offenbar für einen genialen Witz hält. Als wäre nicht jeder Idiot dieser Welt schon darauf gekommen.
»Storchy!«, schnaubt er. »Das ist doch genau der richtige Name für dich! Wie gefällt dir das, Storchy?«
In Starkey kocht das Blut hoch. Adrenalin erfüllt ihn mit Zorn und
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