Vom Mondlicht berührt
Jahren zwar weiterentwickelt hatten, sein aristokratisches Gehabe jedoch unverändert geblieben war.
»Herzlich willkommen, liebe Anverwandten, liebe Revenants von Paris«, waren seine ersten Worte, die er an die ungefähr vierzig Gäste richtete. »Vielen Dank, dass ihr heute Abend bei uns seid. Ich freu mich, euch in meiner bescheidenen Wohnstätte begrüßen zu dürfen.« Die Zuhörerschaft reagierte mit amüsiertem Gelächter.
Jean-Baptiste lächelte kaum merklich und fuhr fort. »Ich möchte gern auf das Wohl von Charles und Charlotte anstoßen, unseren geschätzten Anverwandten, die uns vorerst verlassen werden. Wir werden euch schmerzlich vermissen und wir alle hoffen auf eure baldige Rückkehr.« Er hob sein Glas und alle taten es ihm gleich. Wie aus einem Mund ertönte ein lautes »Sante!«.
»Na, das ist ja mal diplomatisch formuliert. Schließlich ist er doch derjenige, der sie ins Exil schickt«, flüsterte ich in Vincents Ohr. Dann schielte ich zu Charles, der unglücklich auf einer antiken Polsterbank kauerte. Seit er seine Anverwandten dadurch in Gefahr gebracht hatte, dass er sich freiwillig in die Hände der Numa begeben hatte, zierte sein Gesicht nicht mehr die sonst übliche Schmollmiene, stattdessen waren Spuren von Verzweiflung und Depression erkennbar. Gaspard saß als moralische Stütze neben ihm.
Jean-Baptiste sprach weiter: »Ich bin mir sicher, dass jeder von uns die Zwillinge gern in den sonnigen Süden begleiten würde, doch wir haben hier in Paris eine Aufgabe zu erfüllen. Wie ihr alle wisst, gab es von den Numa keinerlei Regung, seit unsere sterbliche Freundin Kate ...«, er wies mit seinem Glas in meine Richtung und nickte mir höflich zu, »... vor etwas über einem Monat ihren Anführer Lucien so geschickt ausgelöscht hat. Obwohl wir auf alles gefasst sind und in ständiger Bereitschaft verharren, gab es bisher nicht mal den Versuch eines Vergeltungsschlags. Keinen Gegenangriff.
Noch besorgniserregender ist, dass seither keiner unserer Anverwandten auch nur einen Numa irgendwo gesichtet hat. Sie haben Paris nicht verlassen, aber die Tatsache, dass sie uns so entschieden aus dem Weg gehen, ist äußerst ungewöhnlich für unsere Erzrivalen und lässt nur einen Schluss zu: Sie haben einen Plan. Und das bedeutet auch, sie haben einen neuen Anführer.«
Damit hatten die Anwesenden nicht gerechnet, ihre Mienen wechselten von interessiert zu bestürzt. Manche begannen zu tuscheln. Da Vincent weiter unverwandt in Jean-Baptistes Richtung blickte, nahm ich an, dass ihm diese Information bereits bekannt war. Jean-Baptistes Stellvertreter , dachte ich, verwundert und beunruhigt zugleich. Ich sehnte mir ein Gespräch unter vier Augen herbei, damit ich ihn dazu befragen konnte.
Jean-Baptiste schlug erneut mit dem Löffel gegen sein Glas. »Darf ich um Ruhe bitten?« Das Gemurmel verstummte. »Uns allen ist bekannt, dass Nicolas Luciens Stellvertreter war, und wir alle wissen um seine aufbrausende und großspurige Art. Hätte er die Nachfolge angetreten, hätten wir das längst zu spüren bekommen. Diese vorherrschende Ruhe aber ist ein Indiz dafür, dass jemand anderes die Führerschaft übernommen hat. Solange wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben und wann oder wo wir mit einem Angriff rechnen müssen, ist es schwierig, unsere Verteidigung zu planen.«
Schon setzte das Gemurmel wieder ein. Diesmal hob Jean-Baptiste die Stimme, um die Gäste zu beruhigen. »UND DESHALB ... fühlen wir uns geehrt, dass wir in dieser potenziell kritischen Situation auf die Unterstützung einer Person zählen können, die mehr über unsere Geschichte und die der Numa weiß als jeder andere in diesem Saal. Sie genießt das Ansehen, die sachkundigste Anverwandte ganz Frankreichs zu sein, und gehört zu den einflussreichsten Personen unseres internationalen Konsortiums. Sie hat angeboten, uns bei der Untersuchung der Lage zu unterstützen und uns zu helfen, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln oder – falls nötig – einen Präventivschlag vorzubereiten.
Denen, die noch nicht die Gelegenheit hatten, ihre Bekanntschaft zu machen, möchte ich nun Violette de Montauban und ihren Gefährten Arthur Poincare vorstellen. Es ist uns eine große Ehre, dass sie bereit sind, uns während Charlottes und Charles’ Abwesenheit hier vor Ort zu unterstützen und bei uns einzuziehen.«
Hinter Jean-Baptiste tauchte ein Pärchen auf, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das schneeweiße Gesicht des Mädchens
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