Von Zwanzig bis Dreißig
Begegnung zunächst ein Wort.
Wir, Fritz Esselbach und ich, kamen vom Tiergarten her und schlenderten über den Karlsplatz fort, auf die Oranienburger Straße zu, an deren entgegengesetztem, also ganz in der Nähe des Haakschen Marktes gelegenen Ende Fritz Esselbach wohnte. Als wir bis an die Ecke der Auguststraße gekommen waren, sah ich, daß hier, eine Treppe hoch, gerad über der Tür eines Materialwarenladens, ein junger Mann im Fenster lag und seine Pfeife rauchte. Fritz Esselbach grüßte hinauf. Der junge Mann, dem dieser Gruß galt – ein Mädchenkopf, mit einer in die Stirn gezogenen gelben Studentenkappe – , wirkte stark renommistisch; noch viel renommistischer aber wirkte seine Pfeife. Diese hatte die Länge eines Pendels an einer Turm- oder Kirchenuhr und hing, über die Ladentür fort, fast bis auf das Straßenpflaster nieder. Vor der Ladentür, weil gerade »Ölstunde« war, war ein reger Verkehr, so daß die Pfeife beständig Pendelbewegungen nach links oder rechts machen mußte, um den Eingang für die Kunden, die kamen, freizugeben. Natürlich wär' es für den Ladeninhaber, der zugleich Hausbesitzer war, ein kleines gewesen, sich dies zu verbitten, er ließ den Studenten da oben aber gern gewähren, weil dieser seltsame Schlagbaum ein Gegenstand stärkster Anziehung, eine Freude für die Dienstmädchen der ganzen Umgegend war; alle wollten an der Studentenpfeife vorbei.
»Wer ist denn das?« fragte ich. »Du grüßtest ja hinauf.«
»Das ist
Hermann Maron
.«
»Kenn' ihn nicht.«
»Dann mußt du ihn kennenlernen. Er macht auch Verse, ja, ich glaube, bessere als du. Nächsten Sonnabend ist Sitzung unsres Lenau-Vereins. Ich bin selber erst seit kurzem Mitglied, aber das tut nichts; ich werde dich einführen.«
Und so geschah es. Zu festgesetzter Stunde stieg ich mit meinem Freunde die schmale stockdunkle Stiege hinauf und wurde, nachdem wir uns ins Helle durchgetappt hatten, einem in einem kleinen und niedrigen Zimmer versammelten Kreise junger Männer vorgestellt. Es waren ihrer nicht viele, sechs oder acht, und nur zwei davon haben später von sich reden gemacht. Der eine war der von jener flüchtigen Begegnung her mir schon bekannte
Hermann Maron
selbst, der andre war
Julius Faucher.
Beide vollkommene Typen jener Tage.
Hermann Maron,
unser Herbergsvater, gab den Ton an. Er war aus einem sehr guten Hause, Sohn eines Oberforstmeisters in Posen, und hatte sich, von Jugend an maßlos verwöhnt, in völlige Prinzenmanieren eingelebt. Selbst der skeptische und an Klugheit ihm unendlich überlegene Faucher unterwarf sich ihm, vielleicht weil er, wie wir alle, in den bildhübschen Jungen verliebt war. Dazu kam Marons offenbare dichterische Überlegenheit. Eins seiner Gedichte führte den Titel: »Ich mach' ein schwarzes Kreuz dabei«, Worte, die zugleich den viermal wiederkehrenden Refrain des vierstrophigen Liedes bildeten. Mutter, Freund, Geliebte sind vor ihm hingestorben, und die Frage tritt jetzt an ihn heran, was seiner wohl noch harre in Leben, Liebe, Glück. Und: »Ich mach' ein schwarzes Kreuz dabei« lautet auch hier wieder, vorahnend, die Antwort. Sein Leben war ein verfehltes, und jäh schloß es ab.
Meine Bekanntschaft mit ihm war damals, Sommer 1840, nur von kurzer Dauer, auch kamen wir uns nicht recht näher, weil ich, trotz des glatten Gesichts, ja, ich möchte fast sagen, um desselben willen, etwas Unheimliches an ihm herausfühlte. Vier, fünf Jahre später sah ich ihn flüchtig wieder. Er war in manchem verändert, nur nicht darin, daß er durchaus Sensation machen mußte. Sonderbarerweise verfuhr er dabei ganz nach seinen früheren Inszenierungsprinzipien. Er wohnte zu jener Zeit zwei Treppen hoch in der Kronenstraße und gefiel sich, ganz ähnlich wie früher, darin, sich zur Erbauung der Vorübergehenden derart ins offne Fenster zu setzen, daß seine Beine links und rechts neben dem Fensterkreuz herunterhingen. So saß er da, lesend, rauchend, während drüben das Abendrot über den Dächern hing.
Dann – aber erst geraume Zeit später – ersah ich aus den Zeitungen, daß er sich einer nach Ostasien (Japan) bestimmten staatlichen Expedition angeschlossen habe, deren Chef Graf Fritz Eulenburg, der spätere Minister des Innern, war. Marons Stellung zu Graf Fritz Eulenburg, der wohl eine Vorliebe für derartig aparte Persönlichkeiten haben mochte, war die denkbar beste, so daß sich ihm, dem sichtlich Bevorzugten, eine glänzende Zukunft zu bieten schien. Er gab auch ein
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