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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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alles, was ich bis dahin getan, im Lichte einer traurigen Kinderei vor mir, und der ganze Winkelried-Unsinn fiel mir schwer auf die Seele. Dieser Karabiner war verrostet; ob das Feuersteinschloß noch funktionierte, war die Frage, und wenn es funktionierte, so platzte vielleicht der Lauf, auch wenn ich eine richtige Patrone gehabt hätte. Statt dessen schüttete ich da Pulver ein, als ob eine Felswand abgesprengt werden sollte. Lächerlich! Und mit solchem Spielzeug ausgerüstet, nur gefährlich für mich selbst und für meine Umgebung, wollte ich gegen ein Gardebataillon anrücken! Ich war unglücklich, daß ich mir das sagen mußte, aber war doch zugleich auch wie erlöst, endlich zu voller Erkenntnis meiner Verkehrtheit gekommen zu sein. Das Hochgefühl, bloß zu fallen, um zu fallen, war mir fremd, und ich gratuliere mir noch nachträglich dazu, daß es mir fremd war. Heldentum ist eine wundervolle Sache, so ziemlich das Schönste, was es gibt, aber es muß echt sein. Und zur Echtheit, auch in diesen Dingen, gehört Sinn und Verstand. Fehlt das, so habe ich dem Heldentum gegenüber sehr gemischte Gefühle.
    Kleinlaut zog ich mich von der Straße zurück und ging auf mein Zimmer; Berufspflichten gab es nicht, man konnte in den Tagen tun, was man wollte. Da saß ich denn wohl eine Stunde lang und sah abwechselnd auf den Fußboden und dann wieder auf die Wand des alten, aus Feldstein aufgeführten Georgenkirchturms dicht vor mir. Ich war nur von
einem
Gefühl erfüllt, von dem einer großen Gesamtmiserabilität, meine eigene an der Spitze. Zuletzt aber wurde mir auch mein stupides Hinbrüten langweilig; dies Abgeschlossensein, dies Nichtwissen, was sich draußen zutrage, wurde mir unerträglich, und ich beschloß aufzubrechen und zu sehen, wie's in der Stadt hergehe. Zunächst wollt' ich bis auf den Schloßplatz und von da nach der Pépinière – Friedrichstraße –, wo ein Vetter von mir wohnte; natürlich, wie alles, was zur Pépinière gehört, ein Stabsarzt. Der war immer sehr aufgeregt und würde, das stand fest, gewiß bereit sein, irgendwas vorzunehmen. Ich hatte persönlich die Heldentaten aufgegeben, aber ich wollte wenigstens mit dabei sein.
    Und so steuerte ich denn los.
    Auf dem Alexanderplatz kein Mensch, kein Ton, was mich unheimlich wie Stille vorm Gewitter berührte. Und nun über die Königsbrücke in die Königstraße hinein. Da sah es sehr anders aus und doch auch wieder ähnlich. Die Ähnlichkeit bestand darin, daß unten alles mehr oder weniger menschenleer war, aber oben – und das war der Unterschied – war in langer Reihe von Haus zu Haus alles wie festlich aufgebaut: die Dächer abgedeckt, die Dachziegel neben dem Sparrenwerk aufgehäuft und auf dem Sparrenwerk selbst allerlei Leute, die vorhatten, von oben her einen Steinhagel herunterzuschicken. Alles zeigte deutlich den Eifer derer, die sich, wenn's nicht die Hausinsassen selbst waren, zu Herren des Hauses gemacht hatten, aber wenn man schärfer zusah, sah man doch auch wieder, daß es nichts Rechtes war, man wollte den Kampf gegen die Garden mit Dachziegeln aufnehmen! So kam ich bis dicht an die Spandauer Straße; von Schloßplatz und Kurfürstenbrücke her blitzten Helme, Geschütze waren aufgefahren und auf die Königstraße gerichtet. Als ich die nächste Barrikade überklettern wollte, lachten die paar Leute, die da waren. »Der hat's eilig.« Einer sagte mir, »es ginge hier nicht weiter; wenn ich in die Stadt hineinwollte, müßt' ich in die Spandauer Straße einbiegen und da mein Heil versuchen.« Das tat ich denn auch und passierte bald danach die Friedrichsbrücke. Drüben hielt ein Zug Dragoner, am rechten Flügel ein Wachtmeister, der das Kommando zu haben schien. Ich sehe ihn noch ganz deutlich vor mir: ein stattlicher Mann voll Bonhomie, mit einem Gesichtsausdruck, der etwa sagte: »Gott, was soll der Unsinn; ... erbärmliches Geschäft.« Demselben Ausdruck bin ich auch weiterhin vorwiegend begegnet, namentlich bei den Offizieren, wenn sie das Barrikadengerümpel beiseite zu schaffen suchten. Jedem sah man an, daß er sich unter seinem Stand beschäftigt fühlte. Noch in diesem Augenblick hat die Erinnerung daran etwas Rührendes für mich. Unsere Leute sind nicht darauf eingerichtet, sich untereinander zu massakrieren; solche Gegensätze haben sich hierzulande nicht ausbilden können.
    Ich nahm nun meinen Weg hinter dem Museum fort, durch das Kastanienwäldchen und bog zuletzt von der Dorotheenstraße her in die

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