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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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die Truppen bedrohlichen Augenblick brach aus dem mittleren und gleich darauf auch aus dem kleineren Schloßportal – mehr in Nähe der Langen Brücke – eine Tirailleurlinie vor, und seitens dieser fielen ein paar Schüsse. Fast unmittelbar darauf leerte sich der Platz, und die bis dahin vor dem Schloß angesammelte Volksmasse, drin Harmlose und nicht Harmlose ziemlich gleichmäßig vertreten waren, zerstob in ihre Quartiere.
     
    Unter den Harmlosen, ja, ich darf wohl hinzusetzen, mehr als Harmlosen, die sofort davonstürzten, um ihre Person in Sicherheit zu bringen, befand sich auch mein Prinzipal. Er war ein guter Schütze, sogar Jagdgrundinhaber in der Nähe von Berlin, aber »selbst angeschossen zu werden« war nicht sein Wunsch. Ich sehe noch sein bis zum Komischen verzweifeltes Gesicht, mit dem er bei uns eintraf und nach Erzählung des Hergangs sich dahin resolvierte: »Ja, meine Herren, so was ist noch nicht dagewesen; das ist ja die reine Verhöhnung, alles versprechen und dann schießen lassen und auf wen? Auf
uns,
auf ganz reputierliche Leute, die Front machen und grüßen, wenn eine Prinzessin vorbeifährt, und die prompt ihre Steuern bezahlen!« Es war auf dem Hausflur, daß diese Rede gehalten wurde. Wir standen drum herum, und auch die vorzüglichsten Mieter des Hauses hatten sich eingefunden. Dies war, neben andern, ein eine Treppe hoch wohnendes Ehepaar, Kapellmeister St. Lubin und Frau vom Königstädtischen Theater,
er
ein kleines unbedeutendes Hutzelmännchen,
sie, wie
die meisten Französinnen von über vierzig, von einer gewissen Stattlichkeit und mit dem Bewußtsein dieser Stattlichkeit über ihr ganzes oberes Embonpoint wegsehend. Beide, wiewohl halbe Fremde, nahmen doch teil an der allgemeinen Aufregung. Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schloßplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, daß ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. Das war aber nur von kurzer Dauer. Als ich gleich danach auf die Straße trat und die Menschen wie verstört an mir vorüberstürzen sah, wurde mir doch anders zu Sinn. Am meisten Eindruck machten
die
auf mich, die nicht eigentlich verstört, aber dafür ernst und entschlossen aussahen, als ging' es nun an die Arbeit. Ich hielt mich von da ab abseits von meinen Kollegen, die ganz stumpfsinnig dastanden oder sich an Berliner Witzen aufrichteten, während ich ganz im stillen meine Winkelried-Gefühle hatte. Daß ich in Taten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg ausgesprochen.
    Draußen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Straße wirkte wie gefegt, und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt wurden. In meinem Gemüt aber wurden plötzlich allerhand Balladen – und Geschichtsreminiszenzen lebendig, darunter dunkle Vorstellungen von der ungeheuren Macht des Sturmläutens; alles Große, soviel stand mir mit einem Male fest, war durch Sturmläuten eingeleitet worden. Ich lief also, ohne mich lange zu besinnen, auf die nur fünfzig Schritt von uns entfernte Georgenkirche zu, um da mit Sturmläuten zu beginnen. Natürlich war die Kirche zu – protestantische Kirchen sind immer zu –, aber das steigerte nur meinen Eifer und ließ mich Umschau halten nach einem Etwas, womit ich wohl die stark mit Eisen beschlagene, trotzdem aber etwas altersschwach aussehende Tür einrennen könnte. Richtig, da stand ein Holzpfahl, einer von jener Art, wie man sie damals noch auf allen alten und abgelegenen Kirchplätzen fand, um, nachdem man eine Leine von Pfahl zu Pfahl gespannt, Wäsche daran zu trocknen. Ich machte mich also an den Pfahl und nahm auch zu meiner Freude wahr, daß er schief stand und schon stark wackelte; trotzdem – wie manchmal ein Backzahn, den man, weil er wackelt, auch leicht unterschätzt – wollte der Pfahl nicht heraus, und nachdem ich mich ein paar Minuten lang wie wahnsinnig mit ihm abgequält und sozusagen mein bestes Pulver – denn ich kam nachher nicht mehr zu rechter Kraft – an ihm verschossen hatte, mußt' ich es aufgeben. Mit meinem Debüt als Sturmläuter war ich also gescheitert, soviel stand fest. Aber ach, es folgten noch viele weitere Scheiterungen.
    Schweißtriefend kam ich von dem stillen Kirchplatz in die Neue Königstraße zurück, auf der eben vom Tor her ein Arbeiterhaufen

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