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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Barrikade vorgetreten und hatte da seinen mutmaßlich gut gezielten Schuß abgegeben. Sonst aber war alles in bloßem Radau geblieben, viel Geschrei und wenig Wolle. Wenn die Truppen jetzt zurückgingen, so war das kein von seiten des Volks errungener und dadurch gefestigter Sieg, sondern ein bloßes königliches Gnadengeschenk, das jeden Augenblick zurückgenommen werden konnte, wenn's dem, der das Geschenk gemacht hatte, so gefiel, und während ich noch so dastand und kopfschüttelnd dem Jubel meiner Genossen zusah, sah ich schon im Geiste den in natürlicher Konsequenz sich einstellenden Tag vor mir, wo denn auch wirklich, sieben Monate später, dieselben Gardebataillone wieder einrückten und der Bürgerwehr die zehntausend Flinten abnahmen, mit denen sie den Sommer über weder die Freiheit aufzubauen noch die Ordnung herzustellen vermocht hatte. Mich verließ das Gefühl nicht, daß alles, was sich da Sieg nannte, nichts war als ein mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zustande gekommenes Etwas, dem man, ganz ohne Not, diesen volkstriumphlichen Ausgang gegeben, und lebte meinerseits mehr denn je der Überzeugung von der absolutesten Unbesiegbarkeit einer wohldisziplinierten Truppe jedem Volkshaufen, auch dem tapfersten gegenüber. Volkswille war nichts, königliche Macht war alles. Und in dieser Anschauung habe ich vierzig Jahre verbracht.
     
    Vierzig Jahre! Jetzt aber denke ich doch anders darüber. Vieles hat sich vereinigt, mich in dieser Frage zu bekehren.
    Den ersten Anstoß dazu gaben mir die 1891 erschienenen »Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach«. In Band 1, Seite 138, fand ich da das Folgende: »Den achtzehnten März spät abends ging ich – Gerlach – vom Schloß nach Hause. Überall standen Truppen. Unter den Linden hielt Waldersee. General Prittwitz hatte den Generalen befohlen, in ihren Stellungen ruhig zu bleiben; es sei nicht seine Absicht, weiter vorzugehen; dann stattete er dem König Bericht ab.
›Heut und morgen und auch noch einen Tag‹
– so lautete dieser Bericht –
›glaube er die Sache noch sehr gut halten zu können;
sollte sich aber der Aufruhr länger hinziehen, so wäre er der Meinung: mit dem König und den Truppen die Stadt zu verlassen und sich außerhalb derselben blockierend aufzustellen.‹ Diese Ansicht über die Sachlage hat General Prittwitz auch noch am Sonntagmorgen gegen Minutoli ausgesprochen, und auf ebendiese Rede hat sich dann Bodelschwingh bezogen, als er behauptete, ›Prittwitz habe ja auch erklärt,
die Sache nicht länger halten zu können
‹.«
    Diese wenigen Sätze machten einen großen Eindruck auf mich und haben mich, erst auf den speziellen Fall, dann
aufs Ganze
hin umgestimmt, will sagen in meiner Gesamtanschauung über Kämpfe zwischen Volk und Truppen. Nicht plötzlich, nicht mit einemmal, kam mir diese Bekehrung, aber die seitens des Generals von Gerlach zitierten Prittwitzschen Worte wurden doch Veranlassung für mich, mich mit diesen Dingen, die mir im wesentlichen längst abgetan und erledigt erschienen, noch einmal zu beschäftigen, etwa wie ein Jurist, dem ein Zufall ein altes Aktenstück in die Hände spielt und der nun bei Durchlesung ebendesselben urplötzlich und zu seiner eigenen nachträglichen Verwunderung zu der Überzeugung kommt, daß in der betreffenden Sache doch eigentlich alles sehr sehr anders liege, als bis dahin von ihm angenommen wurde. Dementsprechend hat auch mich die wiederaufgenommene Beschäftigung mit diesem alten, von mir selbst mit durchlebten Stoff zu der Ansicht geführt, daß es am achtzehnten März doch anders gelegen hat, als ich vermutete, und daß ich die Gesamtsituation am Abende jenes Tages falsch beurteilt habe.
    Schon gleich damals – ich kann hier keine bestimmten Angaben machen, weil ich alles, was Anstoß geben könnte, dringend zu vermeiden wünsche –, schon gleich damals kam mir manches zur Kenntnis, was zu meiner ausschließlich der militärischen Macht und Disziplin günstigen Vorstellung nicht recht passen wollte. Die durch solche Mitteilungen empfangenen Eindrücke waren aber zunächst von keinem Gewicht, wenigstens von keiner Nachhaltigkeit: erstens, weil ich den Berichterstattern nicht recht traute, zweitens, weil das, was die nächsten Zeiten brachten, einer Widerlegung gleichkam. So blieb denn, trotz gelegentlicher leiser Schwankungen, durch länger als ein Menschenalter hin alles in meiner Anschauung beim alten, bis das Gerlachsche Buch kam. Da wurd' ich stutzig, nahm,

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