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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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wie schon angedeutet, meine vordem nur ganz flüchtig gehegten und weit zurückliegenden Bedenken wieder auf und sah mich, je länger und umfassender ich mich mit dem Gegenstande beschäftigte, zuletzt vor die Frage gestellt: »Ja, wie verlaufen denn diese Dinge
überhaupt
?« Und meine Antwort auf diese mir selbst gestellte Frage ging dahin: sie müssen – vorausgesetzt, daß ein großes und allgemeines Fühlen in dem Aufstande zum Ausdruck kommt – jedesmal mit dem Siege der Revolution enden, weil ein aufständisches Volk, und wenn es nichts hat als seine nackten Hände, schließlich doch notwendig stärker ist als die wehrhafteste geordnete Macht. Im Teutoburger Walde, bei Sempach, bei Hemmingstedt, überall dasselbe; die Waldestiefen, die Felsen und Schluchten, die durch die Dämme brechenden Fluten sind eben stärker als alle geordneten Gewalten, und wenn sie nicht ausreichen und nicht helfen, so hilft zuletzt einfach der Raum, und wenn auch der nicht hilft, so hilft die Zeit. Diese Zeit kann verschieden bemessen sein, sie kann sich – wir sehen das in diesem Augenblick in den Kämpfen auf Kuba – über Jahre hin ausdehnen, aber in den meisten Fällen genügen schon Tage. Bei Straßenkämpfen gewiß. Wie gestalten sich solche Kämpfe? Das Volk hat von Moment zu Moment das Spiel in der Hand, hat Aktionsfreiheit; es kann sich dem Feuer aussetzen, es kann sich ihm aber auch entziehen; es kann nach Hause gehen, um in Bequemlichkeit auszuschlafen und kann am andern Morgen wieder mit frischen Kräften in den Kampf eintreten. Der arme Soldat dagegen muß frieren, hungern, dursten, und was er vom Schlaf hat – wenn überhaupt – wird ihn wenig erquicken, da man in den von ihm besetzten Häusern ihm widerwillig gesonnen ist. Diese Widerwilligkeit durch zwangsweises Vorgehen zu brechen, ist unmöglich, das läßt sich allenfalls gegen Landesfeinde tun – auch da sehr schwer –, aber sicherlich nicht gegen den guten Bürger, dem zuliebe ja, halb wirklich, halb vorgeblich, die ganze Szene durchgespielt werden soll. Eine Zeitlang hält eine gute Truppe trotz aller dieser Schwierigkeiten aus, zuletzt aber sind's Menschen, und von dem beständigen Abhetzen matt und müde geworden, versagt zuletzt die beste Kraft und der treuste Wille. Dazu kommt noch, daß auch Schlagwörter, plötzlich heraufbeschworene Vorstellungen, Imponderabilien, über die hinterher leicht lachen ist, mit einemmal eine halb unerklärliche Macht gewinnen. So weiß ich oder glaub' ich zu wissen, daß für bestimmte kleinere Truppenteile mit einemmal der Schreckensruf da war: »Die Bürger kommen.«
    Noch einmal, ich vermeide hier mit Absicht nähere Angaben. Es waren Kompanien, die sich, wenige Monate später, ganz besonders und allen andern vorauf in ernsten Kämpfen ausgezeichnet haben. Jetzt erscheint uns der Schrei: »Die Bürger kommen« als der Inbegriff alles Komischen; damals, auf knappe vierundzwanzig Stunden, umschloß er eine Macht. Immer dieselbe Geschichte: wenn der Morgen anbricht, sieht man, daß es ein Handtuch war, aber in der Nacht hat man sich gegrault. Die Tapfersten haben mir solche Zugeständnisse gemacht. Nur der Feigling ist immer Held. So lag es sehr wahrscheinlich auch am achtzehnten März, und als General von Prittwitz gegen den König die Worte aussprach: »Heute und morgen und auch noch einen Tag glaube ich die Sache halten zu können«, da waren wohl bereits die ersten Anzeichen eines solchen Versagens da. So wird es immer sein, weil es – wenn man nicht gleich im ersten Augenblick, wie beispielsweise am zweiten Dezember, mit vernichtender und bei patriarchalischem Regiment überhaupt nicht zulässiger Gewalt vorgehen will – nicht anders sein
kann.
Und auch in dem Ausnahmefall hat es nicht Dauer. Auflehnungen, ich muß es wiederholen, die mehr sind als ein Putsch, mehr als ein frech vom Zaun gebrochenes Spiel, tragen die Gewähr des Sieges in sich, wenn nicht heute, so morgen. Alle
gesunden
Gedanken, auch das kommt hinzu, leben sich eben aus, und hier die richtige Diagnose stellen, das Zufällige vom Tiefbegründeten unterscheiden können,
das
heißt Regente sein.
     
Drittes Kapitel
     
Der einundzwanzigste März
    Am neunzehnten vormittags – wie schon erzählt – erschien die Proklamation, »daß alles
bewilligt
sei«; mir persönlich, weil ich der Sache mißtraute, wenig zu Lust und Freude. Trotzdem sah ich ein, daß es töricht sein würde, mir die Stunde zu verbittern, bloß weil vielleicht bittre Stunden in

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